Hörbücher
Auf Mordmission
Grace Bernard ist das Produkt einer kurzen, aber fruchtbaren Liebesnacht in der Londoner Partyszene gegen Ende des vergangenen Jahrtausends. Die Mutter, eine hübsche Französin, die gerne in London beruflich und gesellschaftlich Fuß fassen wollte, der Vater, ein verheirateter und steinreicher Kotzbrocken. Diese Konstellation war von Anfang an offensichtlich nicht auf Langlebigkeit ausgelegt, doch mit welcher Arroganz und Dreistigkeit Simon anschließend seinen One-Night-Stand und die keimende Frucht seiner und ihrer Lenden abservierte, war ungeheuerlich und unwürdig. Viele Jahre bestritt Grace ihr Leben erst an der Seite ihrer Mutter, dann nach deren Tod bei einer befreundeten Familie, und zwar mehr schlecht als recht. Seit jeher nagte die Ungerechtigkeit der Abstoßung an ihr, bis sie einen rachsüchtige Plan fasste, der in seiner Tragweite dem Verhalten ihres Erzeugers in nichts nachstehen sollte.
Graces Idee war simpel, nämlich schlichtweg eine ganze Familie auszulöschen. Zum Warmwerden hatte sie Simons Eltern auserkoren, die ihrem Sohn damals, ohne mit der Wimper zu zucken, eindringlich geraten hatten, Grace auf keinen Fall als Tochter anzuerkennen und keinerlei Zahlungen zu leisten. Ein fingierter Autounfall in Spanien war für Grace ein Kinderspiel und doch zugleich ein äußerst erfolgreicher Auftakt ihrer Mission. Da die Familie Artemis nur so von widerlichen Charakteren trieft, findet Grace jeweils sehr leicht angemessene und maßgeschneiderte Formen des Ablebens. So tastet sie sich immer näher an ihren Vater heran, bei dem es allerdings schließlich völlig anders als geplant laufen sollte. Und zu allem Überfluss muss Grace für einen Mord ins Gefängnis, den sie überhaupt nicht begangen hat.
"How to kill your family" ist der Debütroman von Bella Mackie, einer englischen Journalistin, die in der Vergangenheit bereits für einige renommierte Magazine schreiben durfte. In bester Tradition schwarzen britischen Humors führt die Autorin Grace auf die Bühne und es gelingt ihr scheinbar mühelos, die dreiste und clevere Mörderin ihrem begeisterten Publikum ans Herz zu legen. Parallel zum Erscheinen der deutschen Übersetzung hat Random House Audio die vorliegende Hörbuchausgabe herausgebracht. Leicht gekürzt erstreckt sich die Lesung über knapp zwölf Stunden. Britta Steffenhagen als Sprecherin der Ich-Akteurin Grace brilliert dabei am Mikrofon und lässt einen als Hörer mitbangen und hoffen, dass es Grace gelingen möge, auch noch den nächsten oder die nächste aus dem Artemis-Clan aus dem Leben zu befördern. Mit Nils Andre Brüning tritt noch ein weiterer Sprecher in Aktion, doch dazu an dieser Stelle zwecks Vermeidung eines Spoilers nur vielsagendes Schweigen.
Die Handlung in "How to kill your family" ist so angelegt, dass der Hörer Grace in ihrer Gefängniszelle beiwohnt, wo sie in chronologisch weitestgehend geordneten Rückblicken Rückschau auf ihr Leben hält, bevor sie schließlich ihre Taten nebst der dafür notwendigen generalstabsmäßigen Planung darlegt. Man erwischt sich als Hörer dabei, dass man mit Grace mitleidet, dass sie der einzige Tod in ihrer Nähe, an dem sie tatsächlich keine Schuld trägt, hinter Schloss und Riegel gebracht hat. Doch noch viel schlimmer ertappt man sich dabei, wie einen die Pläne von Grace, mit denen sie über Leben und Tod entscheidet, in den Bann ziehen, und man sich wünscht, dass sie bitteschön gelingen mögen. Doch es ist wirklich herrlich, wenn beispielsweise der völlig verdorbene Bruder ihres Vaters dank seiner abartigen Fetische den Weg ins Jenseits beschreitet. Auch die verzogene Halbschwester von Grace und deren Mutter sind keineswegs Sympathiebolzen, denen man ein langes und gesegnetes Leben auf Erden wünscht.
Das vorliegende Hörbuch lässt einen viel schmunzeln, aber auch immer wieder mal reflektieren, warum menschliche Abgründe bei einem selbst bewirken können, dass man jemandem den Tod wünscht. Doch "How to kill your family" ist vor allem eines, nämlich gelungene leichte Unterhaltung und eine gesellschaftliche Parodie, allerdings garniert mit vielen realen Bezügen aus der Welt der Schönen und Reichen. Bella Mackie hat hier sicherlich viele Einblicke und Beobachtungen aus ihrer Position als Journalistin nutzen können, um mit Grace einen liebevollen und zugleich zu verurteilenden Charaktere zu schnitzen, den sie von der Leine lässt und der dem Artemis-Clan keine ruhige Minute mehr gönnt. Als i-Tüpfelchen hat die Autorin ein wirklich gelungenes Finale ersonnen, das Grace in ihrer Denke nicht alleine sein lässt und dem Hörer ein offenes Ende bereitet.
Christoph Mahnel
25.07.2022