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Kampf der Spione

Gerade noch haben Agneta und Stellan ihre beiden Töchter samt Enkelkindern, die eine Woche bei Oma und Opa verbracht hatten, verabschiedet, da klingelt das Telefon. Agneta nimmt ab, vernimmt das eine gesprochene Wort "Geiger" und weiß sofort, was sie tun muss. Sie zieht eine Waffe mit Schalldämpfer und pustet ihrem Mann das Hirn weg. Selbst ergreift sie gemäß einem präzisen Plan, der jahrzehntelang in den Schubladen schlummerte, die Flucht. Die Polizei und die gesamte schwedische Nation sind in heller Aufregung: Warum wurde Stellan, der populärer Entertainer aus dem schwedischen Fernsehen, so kaltblütig ermordet? Und wo befindet sich Agneta, seine Frau, Mutter zweier Töchter und Oma ihrer Enkelkinder?

Sara Nowak verbrachte als Kind viel Zeit mit den beiden Töchtern Stellans und wird nun als Polizistin zu diesem abscheulichen Verbrechen hinzugezogen. Sie war jahrelang ein- und ausgegangen bei der Familie Broman und hat selbst auch keinerlei Erklärungen für dieses Massaker parat. Während sich einst bei den Bromans die gesamte schwedische Elite und auch große Teile der politischen Welt auf Sommerfesten die Klinke in die Hand gab, fristete Sara als Tochter einer Putzfrau ein eher trauriges Dasein. Schon damals ließen Stellans Töchter sie die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen spüren. Dies ist nun, ein halbes Menschenleben später, nicht anders. Doch Sara lässt sich nicht beirren und startet ihre Recherchearbeit, bei der sie auf Enthüllungen einer Historikerin stößt, die Stellan eine Beziehung zur Stasi, dem Geheimdienst der ehemaligen DDR, nachsagt. Liegt hierin etwa der Schlüssel zu seinem prompten Ableben?

"Geiger" lautet der Titel des vielversprechenden Debüts von Gustaf Skördeman. Der schwedische Drehbuchautor ist mit 54 Jahren unzweifelhaft ein Spätstarter in der Branche, obgleich die Idee für diesen Roman laut eigener Aussage schon seit einigen Jahren in ihm gediehen ist. Angeblich sei "Geiger" der Auftakt für eine Trilogie um Sara Nowak, die als unerschütterliche Polizistin ob ihrer Offenheit bezüglich eigener Verfehlungen sehr sympathisch rüberkommt. Dass Skördemans Debüt mit vielen Vorschusslorbeeren an den Start gegangen ist, zeigt der Umstand, dass parallel zur Buchausgabe bei Lübbe Audio bereits eine Hörbuchausgabe erschienen ist. Mit Daniela Bette-Koch als Sprecherin verfliegen die knapp elf Stunden Laufzeit beinahe unbemerkt. Ihr flüssiger Vortrag lässt einen als Hörer der bearbeiteten Fassung abtauchen in die Untiefen der konkurrierenden Geheimdienste, selbst Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Blöcke, die einst diese Apparate hochgezogen hatten.

Der Autor entführt einen in eine Zeit, die selbst in der verrückten Weltlage im Hier und Jetzt, völlig abstrus erscheint. Als der Kalte Krieg die Handlungen in Ost und West beherrschte, entstanden auf beiden Seiten Angriffs- und Verteidigungsstrategien, die in ihren Dimensionen auch heute noch erschrecken. So nimmt Skördeman in "Geiger" das Fulda-Gap in den Fokus seines Plots. Die besondere strategische Lage der osthessischen Mittelgebirge nahe Fulda hatte Militärs in Ost und West Pläne erstellen lassen, die keine Skrupel kannten und auch den Einsatz von nuklearen Waffen explizit miteinschlossen. Skördeman hat die Bedrohungslage, die bekanntlich bis tief in die Achtziger Jahre hinein hochgradig akut war, in die Gegenwart perpetuiert zusammen mit den Geheimdienstorganisationen, deren Mitstreiter bis in die heutige Zeit als Schläfer stets hellwach und einsatzbereit seien.

In "Geiger" fließen die warme Heimeligkeit eines schwedischen Idylls und die Kälte skrupelloser Spionageorganisationen zusammen und ergeben einen begeisternden Mix, der Freunde schwedischer Krimis und zeitgeschichtlicher Thriller garantiert in den Bann ziehen wird. Leider übertreibt es Skördeman zu guter Letzt ein wenig mit den Wendungen, doch die zugrundeliegende Idee wird bei seinen Lesern und Hörern definitiv noch lange nachhallen. Kinder des Kalten Krieges werden bei "Geiger" eine Zeitreise durchleben und nochmal das Gefühl spüren, dass irgendwo hinter Fulda die Welt zu Ende war und dort womöglich der Feind einen Angriff plant. Skördeman verdient großen Respekt, dieses Thema so gut aufgearbeitet und in "Geiger" verarbeitet zu haben. Für die angekündigten Teile 2 und 3 rund um Sara Nowak darf man gespannt sein, wie die Fortführung nach diesem fulminanten Auftakt aussehen mag.

Christoph Mahnel
25.05.2021

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