Bildbände

Hautlos und dennoch umhüllt

"Du darfst nicht, sagte die eule zum auerhahn, 
Du darfst nicht die Sonne besingen 
Die sonne ist nicht wichtig 
Der auerhahn nahm 
die sonne aus seinem gedicht 
Du bist ein künstler, 
sagte die eule zum auerhahn 
und es war schön finster." 

Kaum schön, dafür aber sehr finster ist die prägende Lebensphase von Christine Schlegel, der 1950 in Crossen geborenen vielseitigen Künstlerin in der ehemaligen DDR gewesen. Nach der Lehre als Dekorateurin, Plakat- und Schriftmalerin studierte sie Malerei und Grafik in Dresden, beschäftigte sich mit den verschiedensten künstlerischen Techniken und Möglichkeiten (Malerei, Druckgrafik, Objekte, Installationen, Film, Keramikarbeiten), ehe sie im Jahr 1986 durch eine fingierte Eheschließung nach Westberlin ausreisen konnte. 1998 konnte Christine Schlegel Einsicht in die Akten der DDR-Staatssicherheit nehmen, die in den Jahren 1973 bis zu ihrer Ausreise über ihr Tun, Lassen, Leben und Handeln angelegt wurden. Von diesen Akten handeln unter anderem die in diesem Band sensibel zusammengestellten Werke Schlegels: Eingeschweißt sind Ausschnitte daraus, zusammengestellt mit symbolischen Zeichen, Übermalungen, Fotos, Fundsachen aus einem Leben, das einerseits bespitzelt, überwacht, kontrolliert wurde als seien Menschen Versuchskaninchen im Labor, das andererseits aber das persönliche Leben einer Künstlerpersönlichkeit ist - der Mensch Christine Schlegel an sich, die Frau, die Mutter, die Künstlerin, die engagierte Freundin, die Person, die Freiheit sucht in der Kunst und es auch schafft, in die reale Freiheit zu gelangen, in den Westen (mit allen Fragezeichen versehen, denn - Freiheit auch jenseits der damaligen DDR-Mauern ist relativ, damals wie heute).

Schlegel weigerte sich, die Jugendweihe abzulegen - diese "Sturheit" hat als Konsequenz, dass sie kein Abitur machen kann, ihr Weg schwieriger ist als der der angepassten, der Künstler, die ins Staatsbild passen, der Vorzeigemaler, -dichter und -denker. 

Es muss für einen Menschen ein unglaublicher Schock sein zu lesen, was über ihn alles herausgefunden wird und vor allem, in welcher Weise diese Kenntnisse kommentiert werden, interpretiert, ins Bild gepresst, um eine Chimäre zu erschaffen, den Staatsfeind, den Antichristen, dessen Geißelung, Mundtotmacherei und Vergällung des Lebens zum perpetuum mobile wird. Künstler, so tönt es allenthalben, hätten es gut: Sie könnten ihre Enttäuschung, Angst, Wut, kurz alle negativen Gefühle über die ihnen zur Verfügung stehenden künstlerischen Mittel ausleben - als ob das die Tatsache, in ein System gezwängt zu sein, zu Handlungen verurteilt zu werden, die man nicht ausführen möchte, auf einem schmalen Grat zu balancieren, in irgendeiner Form erleichtern würde. Vor allem erweist sich das als grausamer Trugschluss, wenn der Mensch versucht, seine Sicht des Leids, sei es persönlich, dem Freundeskreis oder einem größeren Kollektiv, angetan worden, mit künstlerischen Mitteln auszudrücken: Er muss mit der Erkenntnis leben, dass auch das weder erwünscht wird noch ihm das Leben erleichtert. Künstler sein und es nicht leben können wie man möchte - ist das nicht hautlos, so, dass man sich eine künstliche Schutzhaut schaffen, sich "einschweißen" muss, um nicht auseinander zu fallen, um sich selbst zu spüren, in und bei sich zu sein? 

Schlegels Bilder sind keine Galgenskizzen. Es tritt uns weder das absolute Grauen noch plakative Anklage gegenüber. In den ganz unterschiedlichen Werken, mit den je typischen Mitteln, die dem Material zu eigen sind, schafft Schlegel den Spagat zwischen deutlichen Aussagen und einem leisen Zauber, der Heilung fühlen lässt, Hoffnung macht und Wege aufzeigt wie beispielsweise in den Bildern der Serie "Jede Wirkung hat eine Ursache". Schrift, Bild, Foto - die Collagen sind eindringlich, stellen die "Akte" gegen den "Menschen", die sezierenden, datierten "Enthüllungen" werden mit Fotos aus dem Privatleben konfrontiert, irgendwo dazwischen ist sie, die Person, die beschattet wird und dennoch versucht, sich selbst zu leben. Die Bildwelten sind unwirklich und wieder nicht, manchmal fast archetypisch anmutend in ihrer deutlichen Aussage, mit leichtem Strich geführt, nicht schwer auf die Leinwand geprügelt und zur Schau gestellt. 

Zahlreiche Fotos und Texte der Künstlerin aber auch Beiträge von Matthias Flügge, Hannelore Offner und Christoph Tannert bieten einen Einblick in Schlegels Welt, künstlerisch, privat, als ob man das eine vom anderen trennen könnte, wenn man dem Menschen gerecht werden will. 1979 malt sich Schlegel selbst - ein intensiver Blick, fast wie im Bannkreis eines Tigerauges hält den Leser und Betrachter fest, man spürt: Das wird keine einfache Reise werden. Die Fotos aus Filmen sind bedrückend - metamorphisierte Gestalten, verbrannte Erde, die den Boden bedeckt, die Menschen einhüllt, sie sich zurückholt, dazwischen Zeichnungen, die den Charakter von Karikaturen tragen, mit Texten versehen "Sie hat ein Verhältnis und eine Katze und ein Kind". Dazwischen findet es statt, das Leben. Menschen an Bändern, als schwarze Punkte, austauschbar, Erlebnisse, reflektiert und manchmal auch als unverdaulich wieder ausgespuckt, mal deutlich, mal sanft und zurückhaltend, nicht weniger eindringlich. Figur und Farbe sind entscheidend, aber nicht per se, sondern durch ihr Auseinandergefallensein an manchen Stellen - flüchtig vermag man gerade noch eine Figur am letzten Zipfelchen zu fassen, ehe sie aus dem Bild entschwindet, manche stehen mitten im Bild und schauen heraus. In der Serie Mona Lisa ist die Farbe das entscheidende Element. Doch auch Reservate gibt es, die manchmal so sind, dass man froh darüber ist, dass hier etwas "extra" stehen soll, um sich seiner Krücken bewusst zu werden. 

An zahlreichen Ausstellungen war Christine Schlegel beteiligt, die Liste ihrer Einzelausstellungen ist lang. Reiseerlebnisse fließen in die Bilder mit ein, an Farben und Formen wird das sicht- und spürbar. Die weit aufgerissenen Augen aus dem Jahr 1979 sind auch im Foto mit der Karlsruher Keramik von 2001 noch da - gelöster, fröhlicher, sicherer und vor allem freier. Hautlos ist mehr als ein Bildband über eine Künstlerin, eine Zusammenstellung ausgesuchter Kunstwerke. Es zeigt die Spannweite des Schaffens Schlegels auf und stellt die Absurdität menschlicher Existenz im totalüberwachten Staat dem angeborenen Wunsch nach Freiheit entgegen. Ein sehr schön gestalteter Band nicht nur zum Nachdenken, sondern auch voll Hoffnung und Lebensfreude. 

csc 
01.05.2002

 
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Das Buch:

Christine Schlegel: Hautlos. Eingeschweißte Überwachung Collagen - Zeichnungen - Erinnerungen

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Gerhard Wolf Janus press 2001 100 S. ISBN: 3-9289-4270-0

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