Bildbände

Schummeln für die Optik

Mathematisch und geometrisch spricht man lapidar von einer Projektion, die sich mit Hilfe klarer Abbildungsregeln durchführen lässt, doch in der Natur bedeutet die Reduktion der dreidimensionalen Wirklichkeit um eine Dimension zum Zwecke der Abbildung auf zweidimensionales Papier eine große Herausforderung. Schon bei der Darstellung von Landkarten kommt es in Richtung der Polkappen zu einer immer größer werdenden Verzerrung der Realität, wenn der kugelrunde Globus auf ein Blatt Papier geplättet werden soll. Ähnlich ergeht es den Produzenten von Panoramakarten, den allseits beliebten, weil optisch ansprechenden Darstellungen von Landschaften, gerne im Kontext von Bergwelten. Auch hier bedarf es einer Verbiegung von Winkeln, Verzerrung von Verhältnissen, um die Schönheit dessen, was man darstellen möchte, möglichst ansprechend für das Auge des Betrachters abzubilden.

Eine wunderbare Sammlung solcher Panoramakarten für die Alpenregion hat der bayrische Journalist und Buchautor Tom Dauer im Prestel Verlag herausgebracht. "Alpen - Die Kunst der Panoramakarten" ist sowohl ein Fundus von Karten, der die faszinierende Alpenwelt in Szene setzt, als auch ein Werk, das die Arbeit der Künstler beschreibt und würdigt. In seiner Einleitung geht der Autor auf die Geschichte der Panoramakarten ein und hebt mit dem Kunstmaler Heinrich C. Berann den Vater dieser Schaffensrichtung hervor. So begab es sich anno 1934, dass es im Zuge der Eröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße einer optisch ansprechenden Werbung für diese neue Attraktion bedurfte. Berann erhielt den Auftrag, "ein vogelschauartiges Panorama" anzufertigen, das eine "freundliche, sonnige Atmosphäre" verbreiten möge. Geboren war die erste Panoramakarte!

Das vorliegende, haptisch sehr ansprechende Buch gliedert sich in zwei Teile. In seinem mehrseitigen Essay über "Die Kunst der Panoramakarten" berichtet Dauer über die Geschichte und Bedeutung von Panoramakarten. Dabei stellt er die wichtigsten Protagonisten dieser Kunstrichtung und deren individuellen Merkmale und Handschriften vor. Darüber hinaus geht er auf die Herausforderungen ein, die sich einem bei der Gestaltung einer Panoramakarte stellen. Dieser einleitenden Abhandlung folgt eine Übersichtskarte über den gesamten Alpenraum von den französischen Alpen im Westen bis hin zu den östlichen Ausläufern in Slowenien. Dort findet der Leser die Verortung aller im anschließenden Hauptteil dargestellten Panoramakarten, die sich über diesen knapp tausend Kilometer breiten Streifen hinweg erstrecken.

Sage und schreibe 90 doppelseitige Panoramakarten findet der begeisterte Betrachter hier vor. Aus hiesiger Sicht muss man leider konstatieren, dass die italienischen Alpen einen überproportionalen Raum einnehmen. Aus dem deutschen Voralpenbereich findet man nur relativ wenig Kartenmaterial vor, doch geht man auf diesem gerne mit dem Finger auf die Reise, wenn man sich vom Allgäu aus in Richtung österreichische Grenze bewegt und die Berge immer größer und scheinbar unüberwindbarer werden. Sämtliche Jahreszeiten finden sich auf den Karten vertreten, je nach Anlass erstrahlen entweder satte grüne Landschaften oder es sorgen schneebedeckte Gipfel für die Atmosphäre eines Winterwunderlandes. Auf der Alpensüdseite überwiegen spätestens beim Erreichen des Gardasees dann wieder die Frühlingsgefühle. Die Orientierung auf den jeweiligen Karten nimmt selbst bei guter Kenntnis des Terrains erstmal einige Zeit in Anspruch, da sich die Ersteller von Panoramakarten keineswegs streng an eine Nord-Süd-Ausrichtung gebunden fühlen.

Klar wird, dass Panoramakarten es mit der realen Exaktheit nicht ganz so ernst nehmen. Da werden gerne mal Stauchungen und Streckungen vorgenommen, solange es der Schönheit der Darstellung dienlich ist. Schließlich ist der Mensch kein Adler, der sich die Realität aus allen Perspektiven betrachten kann. Doch bekommt man beim Blättern in "Alpen - Die Kunst der Panoramakarte" zeitweise das Gefühl, wie ein Vogel durch die Lüfte zu schweben und alles zu überblicken. Dies legitimiert durchaus die künstlerischen Freiheiten, mit kleinen Mogeleien den Blick über die Berge zu erweitern. Stundenlang lässt es sich ganz hervorragend schwelgen in diesem wunderbaren Band, der ganz neue Perspektiven über die Alpen verschafft.

Christoph Mahnel 
11.11.2019

 
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Das Buch:

Tom Dauer: Alpen - Die Kunst der Panoramakarte

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München: Prestel Verlag 2019 192 S., € 40,00 ISBN: 978-3-7913-8586-0

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