Romane

Vergangenheitsbewältigung auf Peruanisch

Lima gegen Ende der Neunziger Jahre: Peru leidet unter der Diktatur Alberto Fujimoros, dem Präsidenten des Landes in jenen Tagen. Zusammen mit seinem Geheimdienstchef, der von allen furchtvoll nur der "Doktor" genannt wird, hält er sich unliebsame Gegner und jegliche Opposition vom Leibe. Bei der Wahl seiner Mittel ist er alles andere als zimperlich. Der erfolgreiche Unternehmer Enrique Cardenas sieht in diesen turbulenten Tagen urplötzlich sein gesamtes Lebenswerk in Trümmern liegen. Alles hatte damit begonnen, dass Rolando Garro, der Herausgeber eines Boulevardblattes, ihm Fotos vorlegte, die ihn hochgradig kompromittierten und mit denen Garro ihn erpresste. Quique geht auf den halbherzigen Erpressungsversuch nicht ein, woraufhin die Veröffentlichung der Bilder in der nächsten Ausgabe von "Enthüllt" eine Lawine in Gang setzt, deren Tragweite alle Beteiligten gewaltig unterschätzt haben. Rolando Garro wird ermordet aufgefunden, Quique, der noch mit den Folgen der Veröffentlichung kämpft, ist daraufhin dringend tatverdächtig und wird inhaftiert.

Doch nicht nur das Leben von Rolando und Quique ist heftigen Turbulenzen ausgesetzt. Quiques Frau Marisa hatte vor kurzem eine heftige Liebelei mit Chabela begonnen, der Ehefrau von Quiques bestem Freund Luciano. Dennoch ist sie sichtlich schockiert von den Fotos, die von ihrem Mann veröffentlicht worden waren. Pummel, Rolandos ehemalige rechte Hand in der Redaktion, versucht die Trauer um ihren Chef in den Griff zu bekommen, kämpft parallel aber auch um das Überleben von "Enthüllt". Doch nicht nur Quique war ein Opfer des Sensationsjournalismus von Rolando Garro geworden, auch die Karriere des Künstlers Juan Peineta hatte vor einigen Jahren einen irreparablen Knick erlitten. Peineta hat Garro dies bis zu dessen Ende nicht verziehen und ist somit auch eine perfekte Figur im Spiel derjenigen, bei denen alles zusammenläuft.

Mario Vargas Llosas neuester Roman trägt in der vorliegenden deutschen Buchausgabe passenderweise den Titel "Die Enthüllung". Der Peruaner feierte vor kurzem seinen achtzigsten Geburtstag und produziert immer noch Romane im Abstand weniger Jahre. Vor sechs Jahren hatte er für sein Lebenswerk den Nobelpreis für Literatur erhalten. Seine ersten Romane hatte Vargas Llosa zu Beginn der Sechziger Jahre vorgelegt. In allen seiner Schaffensperioden hat er großartige Romane produziert und sich so im Spätherbst seiner Karriere die Auszeichnung durch die Schwedische Akademie zweifelsohne verdient. Bei seinem neuesten Werk allerdings bleiben tatsächlich große Zweifel, ob sich Vargas Llosa damit einen Gefallen getan hat.

Um "Die Enthüllung" besser einordnen zu können, muss man ein wenig die Zeit zurückdrehen, und zwar ins Jahr 1990, als Mario Vargas Llosa um das Amt des peruanischen Präsidenten kandidierte. Als großer Favorit ging er in die Stichwahl mit seinem Herausforderer Alberto Fujimoro, dem Mann, den er in "Die Enthüllung" als den großen Bösewicht verteufelt. Grundsätzlich hat diese Kritik natürlich einen berechtigten Kern, denn Fujimoros Schreckensherrschaft über Peru traumatisierte das lateinamerikanische Land viele Jahre, bis Fujimoro sein verdientes Schicksal widerfuhr und er wegen Korruption und allerlei anderer Vergehen inhaftiert und verurteilt wurde. Die zweite Lebenserfahrung, die Vargas Llosa in "Die Enthüllung" verarbeitet, ist noch ganz frisch. Vor gut einem Jahr wurde bekannt, dass sich Vargas Llosa von seiner Ehefrau getrennt hatte und eine fünfzehn Jahre jüngere Freundin an seiner Seite wusste, woraufhin sich die Medien in menschenverachtender Art und Weise auf dieses ungewöhnliche Paar einschossen.

Vargas Llosa hat in "Die Enthüllung" das gemacht, was fast alle Schriftsteller in ihren Werken machen, nämlich persönliche Erfahrungen verarbeitet und mehr oder weniger prominent einfließen lassen. Doch hätte man einem Mann dieser schriftstellerischen Größe durchaus mehr zugetraut als ein unzweideutiges "Fingerpointing" in Richtung der Medien und der Männer, die Peru über ein Jahrzehnt diktiert haben und an deren Stelle er gerne regiert hätte. Man hätte aber auch über "Die Enthüllung" als das persönlichste Buch Vargas Llosa sprechen können, wenn er es geschafft hätte, die Andeutungen verklausulierter zu platzieren und den Protagonisten mehr Tiefgang zu verleihen. Denn dass es Vargas Llosa auch im hohen Alter immer noch draufhat, das hat er, so widersprüchlich es auch klingen mag, im vorliegenden Buch erneut bewiesen. Sein Schreibstil fesselt den Leser auch in "Die Enthüllung", so dass man zu keiner Zeit das Buch aus den Händen legen möchte. Erst am Ende, wenn man aus dem Fluss des Lesens entstiegen ist, wird man rekapitulieren, dass "Die Enthüllung" anders als viele Bücher Vargas Llosas keines sein wird, das ihn eines Tages überleben wird.

Christoph Mahnel
21.11.2016

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Mario Vargas Llosa: Die Enthüllung

CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Suhrkamp Verlag 2016
301 S., € 24,00
ISBN: 978-3-518-42560-2

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.