Romane

Ein Lesevergnügen der besonderen , nämlich der besonders schönen Sorte

Asta ist nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen am Münchner Flughafen gestrandet. Von den Kollegen weggemobbt aus der Krankenstation in Nicaragua, wo sie zuletzt tätig war, steht sie neben einer Drehtür und raucht. Sie wollte eigentlich gar nicht zurück. Aber weil sich ihre Fehlleistungen häuften, bekam sie ein One-Way-Ticket geschenkt. Und nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Einigermaßen wohl fühlt sie sich nur, wenn sie gebraucht wird. Und wer könnte sie, die ausgemusterte Krankenschwester, jetzt noch brauchen? Während Asta über sich nachdenkt, beobachtet sie ihre Umgebung - und meint, Menschen wiederzuerkennen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist.

Da sind zum Beispiel der Koch der nordkoreanischen Botschaft, der eines Abends mit geschwollener Wange in einem Berliner Hauseingang hockte, ihre Kollegin Tamara, die ein glühender Fan von Tamara "Tania" Bunke war, ihr Exfreund Kurt, mit dem sie turbulente Wochen in einer tunesischen Ferienanlage verbrachte, und viele andere mehr. Mit jeder Zigarette taucht Asta tiefer in ihre Vergangenheit ein. Und jede Episode dreht sich um ein höchst aktuelles und existenzielles Thema: das Helfen und seine Risiken. Nicht selten ist Asta als Krankenschwester an ihre Grenzen gegangen, aber sie weiß, dass aufzugeben für sie keine Option ist. Man muss kämpfen, um im Leben voranschreiten zu können ...

Ein Lesevergnügen von betörender Schönheit - genau dieses kriegt man mit den Werken von Katja Lange-Müller in die Hand. "Drehtür" ist ein Juwel der Literatur, definitiv ein Meisterwerk. Es dauert nur wenige Sätze und man hat die Welt um sich herum vollkommen vergessen. Und nach der letzten Seite ist einem regelrecht schwindelig. Kein Wunder, denn was man hier zwischen zwei Buchdeckeln zu finden vermag, ist Unterhaltung mit absolutem "Wow!"-Effekt. Lange-Müller beherrscht ihr Schriftstellerhandwerk in Perfektion. Was ihrer Feder entstammt, ist so gut, dass es einen regelrecht vom Hocker haut. Mehr und schöneres Leseglück ist von Seltenheit. Und darf deshalb in keinem Bücherregal fehlen.

"Drehtür" beweist: Deutsche Autoren müssen einen Vergleich mit ihren internationalen Kollegen definitiv nicht scheuen. Katja Lange-Müller schreibt solch Weltklasse-Geschichten wie eine Alice Munro. Sie sorgt für ganz großes Lesekino. In den Romanen der Berlinerin stecken Emotionen pur - und außerdem Erzählkunst, die alles andere glatt in den Schatten zu stellen vermag.

Susann Fleischer
12.09.2016

 
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Das Buch:

Katja Lange-Müller: Drehtür

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016
224 S., € 19,00
ISBN: 978-3-462-04934-3

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