Romane

Ulysses am Rande der Habilitation

Ein Bestseller schraubt häufig die Erwartungen hoch, die die Leser an den Autor des Publikumserfolges stellen. Jedes weitere Buch muss sich dem Vergleich mit dem Vorgänger stellen und die Leser gleichermaßen bewegen. Nicht anders geht es Bernhard Schlinks neuem Roman „Die Heimkehr“. Im Vergleich zum Überraschungserfolg „Der Vorleser“, heißt es vielerorts, falle „Die Heimkehr“ deutlich ab. Um der Vergleichsfalle zu entkommen, soll hier das neuere Buch des 1944 geborenen Autors losgelöst vom Vorwerk betrachtet werden.

Heimkehr-Hoffnungen und zeitgenössische Zyklopen

In „Die Heimkehr“ ist der Titel Programm. Es geht nicht um einfach irgendeine Heimkehrgeschichte, sondern um sämtliche Varianten des Zurückkommens auf einmal, die letztlich doch alle dasselbe Ziel haben: anzukommen bei sich selbst. Der Protagonist, Peter Debauer, hat als Kind häufig die Ferien bei den Großeltern verbracht, die davon lebten, Heftromane zu editieren. Die Korrekturbögen bekam der Junge als Schmierpapier, jedoch mit dem Verbot, die Rückseiten zu lesen. Als er es eines Tages doch tat, las er die aufregende Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der – nachdem er viele Abenteuer bestanden hatte – an der Haustür seine Frau mit einem anderen Mann vorfand. Wie der Roman endete, konnte der Junge nicht in Erfahrung bringen, denn die Seiten hatte er bereits beschrieben und weggeworfen.

Jahre später fällt dem inzwischen erwachsenen Debauer die Geschichte wieder in die Hände und wieder fragt er sich, wie sie zu Ende gegangen sein kann. Ist der Mann fortgegangen oder geblieben, hat seine Frau ihm erklärt, wieso sie nicht auf ihn gewartet hat? Hat sie ihn am Ende für tot gehalten, hat der fremde Mann sich gar als ihr Gatte ausgegeben? Die Frage lässt Debauer keine Ruhe und er beschließt, sich auf die Suche nach dem Mann aus der Geschichte zu machen, der – so findet er heraus – tatsächlich gelebt hat.

Dabei ist Debauer selbst anfangs weit entfernt von einer Heimkehr. Er hat verschiedene Stellen bekleidet, die ihn nicht ausfüllten, eine Habilitation begonnen, doch nie beendet, keinen Erfolg mit Frauen aufzuweisen und weiß für seinen Geschmack zu wenig über seinen Vater. So ist es kein Zufall, dass ihn die Geschichte des Heimkehrers anrührt. Besonders beeindruckt ihn, dass der Heftroman sich liest wie eine Hommage an Homer: sie ist die reinste „Odyssee“. Im Werk des griechischen Dichters findet Debauer Erlebnisse Odysseus’, die in moderner Variante auch im Heftroman vorkommen. Da gibt es eine Penelope, die auf den Helden wartet, viele zu bestehende Abenteuer, auch viele Gelegenheiten zu sterben oder die Orientierung zu verlieren.

Je länger er sich mit der Odyssee befasst, desto stärker wirkt sie sich auf Debauers Leben aus und findet darin ihre Umsetzung. Den vielen Frauen, die Odysseus auf dem Weg zu seiner Frau fürs Leben trifft, glaubt nun auch Debauer begegnen zu müssen:

"Wenn die vergewaltigte Journalistin meine Kikonin und die verwöhnende Bettina meine Lotophagin war, stand jetzt eine einäugige Zyklopin an. [...] Die anschließende Riesin wußte ich schon: eine Kassiererin im Supermarkt, nicht so groß wie die Lästrigonenkönigin, die Homer mit einem Berggipfel vergleicht, aber wie ihre nicht ganz so riesige, von Homer als rüstig beschriebene Tochter. Sie thronte an der Kasse wie ein Erwachsener unter Spielzeug."

Am Ende – soviel sei hier verraten – findet Debauer seine Penelope. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, der ihn immer weiter vom gewohnten fortführt und immer näher zu seinem eigenen Geheimnis bringt (das schließlich in verblüffend engem Zusammenhang mit dem Mann aus dem Heftroman steht).

Die Odyssee des Lesers

Mit Debauer geht auch der Leser auf Reisen. Die Versionen, die Debauer zunächst vom Ende im Heftroman und später auch von seiner eigenen Heimkehr entwirft, gehen am Leser nicht spurlos vorüber. Schlink erinnert ihn, dass auch seine eigene Lebensreise einer Odyssee ähnelt, deren einzelne Stationen selten vorhersehbar sind und oft nicht ahnen lassen, ob er am Ende glücklich wird. Der Heimkehrer kann bereits früh auf seiner Reise scheitern oder sicher ankommen und noch an der Haustür vom Schicksal überrascht werden. Gibt er dann auf oder findet er eine Lösung? Vielleicht ist aber auch ihm das Schicksal gnädig – wie letztlich Debauer – der nach langer Reise am Ende des Buches bei sich selbst an- und zur Ruhe kommt.

Ein Wort sei noch zum Erzählstil gesagt. Schlinks teils philosophischer, gelegentlich monotoner und dann wieder sehr bildhafter Stil mag nicht jedermanns Sache sein. Gleichwohl passt es zu einem Roman über die Odyssee, dass man von Zeit zu Zeit die Lektüre zur Seite legen muss (etwa dann, wenn die Handlung stockt und Debauer sich von Gedanken zu Gedanken quält), um dann wieder streckenweise Seite um Seite hastig zu verschlingen. Schlinks Roman ist eben wie das Leben: mal kommt man wie anfangs Debauer über Jahre nicht vorwärts, dann wieder überschlagen sich die Ereignisse.

Yvonne Pioch
07.05.2006

 
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Das Buch:

Bernhard Schlink: Die Heimkehr

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Zürich: Diogenes Verlag 2006
184 S., € 19,90
ISBN: 3-257-86136-2

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