Romane

Im Krieg kann sich keiner raushalten

"Ich erfuhr von der Versetzung vor Mittag. Der schmale Streifen aus Licht erreichte das Fensterbrett. Mein Major behielt beim Eintreten die Klinke in der Hand, winkte mit der anderen, ich solle sitzen bleiben. Ob die Schweinerei aus Marseille fertig sei? [...] Wenn das getan sei, könne ich gehen." – Wir befinden uns im besetzten Paris des Jahres 1943. Versetzt wird hier der deutsche Obergefreite Roth, von einem sicheren Posten zum Glück nicht an die Front, sondern in die berüchtigte „Rue de Saussaies“. Dort soll er, der perfektes Französisch spricht, den Verhören von Kriegsgegnern, Verrätern und Anhängern der Résistance als Dolmetscher beiwohnen. Ein Posten, der dem sensiblen jungen Mann gar nicht behagt. Bevor den Delinquenten der Arm ausgekugelt oder Schlimmeres angetan wird, um sie geständig zu machen, wird er aus Rücksichtnahme aus dem Raum geschickt.

Nun könnte man meinen, dass der Ich-Erzähler diese Erlebnisse mit sich herumträgt und sie ihm weiter zu schaffen machen, doch jener bleibt an allem seltsam unbeteiligt. Er sieht sich nicht als Teil dieses Krieges, als Anhänger einer Partei. Man gewinnt eher den Eindruck, dass er überhaupt nicht auffallen will. Und so kommt ihm eines Abends eine Idee: er schleicht sich mit einem Beutel voller Alltagskleidung aus dem Hotel, zieht sich in einem dunklen Hausflur um und flaniert fortan regelmäßig inkognito als "Monsieur Antoine" durch die Straßen.

Der heimliche Frühling des Soldaten

Natürlich ist sich Roth bewusst, was auf ihn zukommt, wenn man ihn erwischt. Ein Soldat ohne Uniform, der sich unter die Leute mischt, würde sofort als französischer Spion angesehen. Seine Gelassenheit ist ihm selbst ein Rätsel: "Als ein anderer betrat ich die Straße. Jedes Privileg hatte ich abgetan, war schutzlos gegen Besatzer und Besetzte. Ich durfte meine Papiere nicht zeigen, meine Sprache nicht sprechen, eine falsche Vokabel verriet mich. Spätestens um halb acht mußte ich die Rückverwandlung vollziehen, doch die Uhr, Erbstück mit deutscher Gravur, nahm ich nicht mit."

Der Wunsch, als normaler Mensch durch die Straßen zu wandern, nicht ängstlich oder abschätzig angesehen zu werden, ist größer als seine Angst. Roth steht symbolisch für viele junge Männer, die sich in einem Krieg behaupten müssen, an dem sie unfreiwillig teilnehmen. Die nicht begreifen oder wahrhaben wollen, dass sie tatsächlich davon betroffen sind. Und die sich um ihre Jugend gebracht sehen, um ein Leben in Unbeschwertheit und Sorglosigkeit. Diese Unbeschwertheit lebt Roth als Monsieur Antoine aus.

Auf einem seiner Streifzüge erspäht „Antoine“ denn auch die hübsche Französin Chantal – und verliebt sich Hals über Kopf. Die Vorsicht, mit der deren Bekannte auf seine neugierigen Fragen reagieren, lässt allerdings bereits Komplikationen erahnen. Und tatsächlich stellt sich heraus: Chantal arbeitet für die Résistance. Als Roth das erfährt, kann er sich nicht länger aus allem heraushalten. Er muss sich für eine Seite entscheiden, denn Chantal und ihre Familie laufen Gefahr, von den Deutschen gefasst zu werden...
Die Liebe kommt ein wenig zu kurz

Michael Wallner hat mit „April in Paris“ einen interessanten Roman vorgelegt, der die Stimmung im besetzten Paris bis ins Detail wiedergibt. Ein wenig enttäuschend ist indes, dass der anfänglich vermutete Gegenstand des Romans, die "Liebe wider alle Vernunft", gestalterisch einen eher kleinen Raum einnimmt. Zwar ist Roth mit seinen Gedanken ständig bei Chantal, doch wirklich zusammen treffen die beiden nur wenige Male und Chantal verschwindet bereits früh für immer von der Bildfläche.

Dies erstaunt weniger, wenn man den Roman als „Reise zum eigenen Ich“ Roths ansieht. Kern der Erzählung ist nämlich dessen Auseinandersetzung mit der eigenen Position in diesem Krieg und Chantal nur insofern relevant, als sie seine Sichtweise ändert (auch, wenn das nur aus Liebe geschieht). Denn für eine solche Liebe – das macht das Ende des Romans nochmals deutlich – gäbe es ohnehin keinen Raum.

Yvonne Pioch
11.04.2006

 
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Das Buch:

Michael Wallner: April in Paris

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München: Luchterhand Verlag 2006
240 S., € 19,95
ISBN: 3-630-87221-2

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