Romane
Lucas Liebe
"Thomas stirbt." Das ist der erste Satz in Philippe Besson´s Roman "Sein Bruder". Der Satz sagt alles, ohne das etwas gesagt ist. Was es zu sagen gibt zu den letzten Lebensmonaten (sechs) des 26jährigen Thomas hat der erzählende Bruder in Tagebuch-Texten zusammengefaßt.
Ist der Ich-Erzähler der Berichtende, was der Tagebuchform am ehesten entspricht, macht er die Leser am ehesten zu Beteiligten. Sie teilen mit den Brüdern Trotz, Traurigkeit, Trauer und Tränen, die in den Tagen des geschilderten Sterbens sind. Nicht nur äußerlich auffällig ähnlich, leben die Geschwister mit vergleichbar starken Gefühlen. Selbstverständlich auch füreinander.
"Sein Bruder" ist der Bericht von einer stolzen Bruderliebe. Einer erklärbaren, nicht erklärten Liebe der Brüder zueinander. Die Geschichten der Bruderliebe zwischen Lucas und Thomas machen das Buch zu einem, das der Bruderliebe gewidmet ist. Das Sterben ist nicht das eigentliche Thema des Romans, so bestimmend es auch ist, das Thema ist die Beziehung der Brüder. Sie sind tatsächlich verwandte, zwillingshafte Menschenseelen einer Familie, die ihre Macken und Mängel hat wie Millionen Familien.
Die von Anbeginn innige und intensive Bindung der Brüder macht sie so berichtenswert und die berichteten Kindheits- und Jugendgeschichten so berührend wie bedrückend schön. Wird der Bericht durch symbolische Nebengeschichten tatsächlich romanhaft, verliert er einiges von der eindringlichen Direktheit, die das Buch gleichermaßen leicht wie schwer machen.
Leicht, weil man von den Geschichten der Bruderliebe nie genug bekommen kann. Schwer, weil schon der erste Satz das Schmerzlichste formuliert. Den Schluß eines Lebens. Nicht aber das Ende der Bruderliebe. In den Erinnerungen und Empfindungen von Lucas lebt die Liebe zu Bruder Thomas weiter. Sie lebt in dem Roman "Sein Bruder". Der ist nicht das Leben, aber er ist wie das Leben.
Bernd Heimberger
23.09.2005