Romane

Nochmal sechzehn sein?

Der sechzehnjährige Luis lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter im fünfzehnten Stock einer Hochhaussiedlung. Sein Leben verbringt Luis vor allem auf der Straße, im Beisein seiner Freunde gilt es, die Zeit totzuschlagen. Dabei dreht sich nahezu alles um Alkohol und Frauen. In der Hierarchie der Clique steht Luis direkt hinter seinem besten Freund Milan, dem Anführer der Gruppe. Das einzige Refugium der Ruhe in seinem Leben ist die Weide, auf dem das Pony Nutella grast.

Luis genießt hohe Anerkennung in seiner Clique, da er ein wahrer Champion im Erobern von Mädchen und Frauen ist. Fast jede Wette diesbezüglich, die seine Kumpels für ihn ausrufen, erledigt Luis erfolgreich und mit Bravour. Trotz seiner festen Freundin Jenny scheint Luis hierin seine Erfüllung zu finden. Die Frau, die er jedoch vergöttert, ist seine Mutter. Als Luis eines Tages erfährt, dass sein bester Kumpel Milan, eine Affäre mit seiner Mutter hat, beginnt sein Leben aus den Fugen zu geraten.

Verena Güntner, Jahrgang 1978, hat sich in den vergangenen Jahren vor allem als Schauspielerin in Film und Fernsehen sowie auf deutschsprachigen Bühnen einen Namen gemacht. Mit "Es bringen" legt sie ihr schriftstellerisches Debüt vor, das bereits einige Vorschusslorbeeren ernten konnte. Mit Fragmenten daraus hatte sie nämlich in den vergangenen beiden Jahren schon einige Preise abräumen können. Die Spannung auf das vorliegende Buch war somit längst gesät.

Mit ihrem Protagonisten Luis stellt die Autorin einen Charakter in den Mittelpunkt, dessen Erlebnisse zwar durchweg spaßig zu sein scheinen, doch wird bei genauerem Hinsehen die Tristesse seines Lebens rasch deutlich. Luis lebt ein orientierungsloses Leben, versucht den Moment mit Frauen und Mädchen zu genießen, in der restlichen Zeit wird die Aussichtslosigkeit mit Alkohol ertränkt. Die Perspektivlosigkeit wird zwar nicht explizit erwähnt oder von Luis selbst thematisiert, doch schwebt sie wie ein Damoklesschwert über den Jungs der Clique.

Verena Güntner porträtiert mit feiner Beobachtungsgabe Jugendliche, wie sie jeder Leser tagtäglich an einschlägigen Treffpunkten wie Bushaltestellen oder Tankstellen beobachten kann. Doch Luis hat für sich einen Plan gefasst, mit dem er Kontrolle über sein Leben zu erlangen hofft. Er selbst ist sein Trainer und die ausführende Mannschaft zugleich, mit strengen Ansagen an sich selbst zwingt er sich dazu, Ängste zu überwinden. Disziplinierte Vorgaben, wie das Nutzen des Treppenhauses anstelle des Aufzugs, sollen ihm helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen.

Letztlich reicht jedoch ein Erdbeben in seinem Mikrokosmos, das ihn völlig außer Tritt bringt. Seine Mutter und Milan zusammen zu wissen, erschüttert ihn in seinen Grundfesten und lässt ihn wirr handeln. Dies überträgt sich auf die Autorin, die an diesem Kulminationspunkt in Luis‘ Leben ihre schriftstellerische Linie zu verlieren scheint. Bis zu diesem Schlussakkord war Verena Güntner mit "Es bringen" auf dem besten Wege, einen Überraschungserfolg zu landen. Ihr Erstling kommt daher wie eine Mischung aus "Tschick", "Herr Lehmann" und "Axolotl Roadkill", kann jedoch seine erfrischende Wirkung nicht über die vollen 90 Minuten halten.

Christoph Mahnel
18.08.2014

 
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Das Buch:

Verena Güntner: Es bringen

Köln: Kieperheuer & Witsch 2014
256 S., € 18,99
ISBN: 978-3-462-04692-2

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