Romane

Das Bemühen der Brüder

Auf den Gedanken ist kein Kritiker, kein Redakteur gekommen. Leonie Ossowskis neuen Roman "Der einarmige Engel" in der Rubrik "Ein Buch, das nicht vergeht" aufzunehmen. Nicht mal in den Rubriken "Ein Buch, das was hermacht" oder "Ein Buch zum Aufwärmen" wird der Roman erwähnt. Pech für Ossowski? Wohl kaum! "Der einarmige Engel" wird von denen gelesen, denen Kritikerurteile ohnehin schnuppe sind. Also von denen, die ohne Anstrengung unterhalten sein wollen, wenn sie lesen. Leonie Ossowski ist seit Jahrzehnten eine der populärsten Unterhalterinnen der deutschen Literatur. Sie versteht das Geschäft der Unterhaltungsschriftstellerei und empfindet es nicht als Schmach, Unterhaltungsschriftstellerin genannt zu werden. Ossowski muß nicht die Kriterien der Kritiker erfüllen. Sie muß ihren treuen Lesern eine leicht erfassbare Story, mit gut überschaubaren Handlungsorten wie dem entsprechenden Figurenensemble liefern. Das tut sie, wie immer, auch mit „Der einarmige Engel“.Ein zwillingspaar, äußerlich sehr ähnlich, ansonsten von recht unterschiedlichem Naturell, um die Sechzig und von märkischem Adel, macht sich nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze sofort auf den Weg, das bereits verlorengeglaubte Erbe zu besichtigen.

Die Besuchs-Besichtigung hat für die beiden Brüder Folgen. Zwei Vokabeln kreisen durch die Köpfe der Schloßherren ohne Schloß: Rückkehr und Rückgabe, Rückgabe ohne Rückkehr! Es ist die Zeit der Entscheidungen, die Willy Brandt mit den Worten zusammenfaßte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!“ Schnell gesagt, ist das Gewünschte schwer zu machen, wie jeder weiß. Nicht nur deshalb schwer, weil der Satz so richtig ist  wie falsch.

Ossowski hat eine Geschichte geschrieben, die von den Schwierigkeiten des Zusammenwachsens erzählt. Wenn die Schriftstellerin nicht erzählt, referiert sie in schlichtester Weise politische Zeitergebnisse der frühen neunziger Jahre, die den Hintergrund des Heimatromans ausmachen. Was es bedeutet, ein ursprüngliches Empfinden für die angestammte Heimat zu haben, sich eine Heimat zu erfinden, weiß die Heimatvertriebene, die Autorin Leonie Ossowski, aus eigener Erfahrung. Sie kann ihre Gefühle in den Gefühlen der Zwillingsbrüder artikulieren. So gewinnt sie das Mit-Gefühl der Leser, bestenfalls sogar ungeteiltes Verständnis für das Streben der adligen Herren aus den heimatlichen Schlössern der Kindheit das Zuhause des Alters zu machen.

Ossowski redet nicht der Rechtfertigung ererbter Rechte zum Munde. Ohne Pardon präsentiert sie die bekanntesten Ost-West-Konflikte, die das Zusammenwachsen erschwerten und erschweren. Daß die Konflikte allen Klischees entsprechen denunziert nicht das Bemühen der Brüder Conrad und Ludwig. Die bleischweren Konflikte machen klar, weshalb die deutsch-deutsche Annäherung so mühsam vorankam. Leonie Ossowski Beitrag zur deutsch-deutschen Verständigung ist, mit dem Roman vor allem Verständnis für die Vertriebenen sowie die Verletzungen der Ostdeutschen zu zeigen und zu wecken.

Mit ihren ausgeprägten Sinn für soziale Situationen und gravierende gesellschaftliche Ereignisse, hat die Schriftstellerin abermals einen Roman verfasst, der Anteilnahme will für die geschilderten Schicksale, die nicht beispielhafte, doch symbolische Zeit-Schicksale sind. Ohne Scheu vor Simplifizierungen und Sentimentalitäten, sichert sie die Autorin der Tränen schlichter Gemüter, die von den schlichten Sätzen der Schreiberin nie alleingelassen werden. Triftige Gründe für Kritiker und Redakteure, sich nicht für den Roman/die Romane von Leonie Ossowski zu erwärmen. Ein „Buch zum Aufwärmen“ ist „Der einarmige Engel“ allemal. Punsch-Prosa, wenn man so will und für die, die sowas mögen!

Bernd Heimberger
09.09.2005

 
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Das Buch:

Leonie Ossowski: Der einarmige Engel

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München: Piper Verlag 2004
319 S., € 19,90
ISBN: 3-492046-290

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