Romane

Stefans Sterben

Das "Exportgut", wie eine dänische Zeitung schrieb, ist angekommen! Das Exportgut ist Kirsten Thorup´s Roman „Bonsai“, der vor fünf Jahren in Kopenhagen erschien. Gut, dass er ins Deutsche transferiert wurde und wie das geschehen ist. Dank der Übersetzerin Angelika Gundlach.

Das Buch ist ein Episodenroman in sieben Teilen. Im dritten Teil fungiert die Hauptperson als eindeutig erkennbare Brief-Autorin. Weniger der Wechsel der Stimmen, die Struktur des Romans forderte die ungeteilte Achtsamkeit. Mit der Achtsamkeit steigert sich die Aufmerksamkeit und die Sympathie für das Buch wächst und wächst. Hingenommen wird, daß die Hauptperson in den Hintergrund tritt, um der hauptsächlichen Person des Romans den Vortritt zu lassen. Nina, die Hauptperson, ist das unbedarfte Mädchen vom Lande, das zu einer anerkannten Autorin wird. Eine Geschichte, die für einen Roman reicht. Entwicklung und Erfolg der Schriftstellerin Nina werden angedeutet, nie ausgeführt. Das Leben, das Ninas Leben bestimmt, ist das mit, neben, für Stefan. Er avanciert zur hauptsächlichen Person. Episode für Episode entwickelt sich das Porträt Stefans und bekommt Schärfe. Stefans Sterben wird zum eigentlichen Ereignis des Romans. Der scheinbar souveräne Stefan ist der tatsächlich Abhängige, die tatsächlich abhängige Nina wird die Souveräne. Lebensmodelle geraten ins Wanken, werden zerschlagen wie Gipsfiguren. „Die harten Realitäten des Lebens“ formen Lebensmöglichkeiten. Hart ist für Nina, Stefans Frau und die Mutter der gemeinsamen Tochter, zum Schutzschild ihres Mannes zu werden, der Männer liebt. Hart ist für Stefan, den Mann und Vater, immer wieder in die Familie flüchten zu müssen, um das geschönte Bild nicht zu beieinträchtigen, das er von sich verbreitet. Ob die Täuschung dem Aidskranken gelingt, der die Stunde seines Sterbens bestimmen möchte, bleibt halboffen. Keineswegs makaber, sind die Schilderungen des Sterbens das Schauerlichste, was das Buch bietet. Die Szenen des Sterbens offenbaren das Scheitern sämtlicher Lebenslügen. So gut, so schlecht sie auch gezimmert sind, stets haben sie die Qualität des Kartenhauses, das in jeder Sekunde zusammenkrachen kann. Während des Lebens, nach dem Lebenslauf. Vielbeachtet, von niemand wahrgenommen.

Kirsten Thorup macht klar: Der Mensch ist, wie er ist, was er durch sich wird. Fast wortgleich wiederholt die Autorin ihren Widerspruch zu Ansichten von Alice Miller, die im mißachteten mißhandelten Kind die Ursache alles Werdens sieht. Thorup erzählt, wie der Lebenslauf Leben macht und so das Leben ausmacht. Sie erzählt von Ninas und Stefans Zeit, denn ihre Zeit ist ihr Leben. In dem gibt es eine gemeinsame, getrennte, unaufkündbare Liebes-, Ehe-, Familiengeschichte. Und was für eine! Weit genug von den Normen und ihnen doch so nah. Antibürgerlich wie bürgerlich. Fassungslos oder verständnisvoll kann der Roman als Liebes-, Ehe-, Familiendrama gelesen werden, das sein eigenes Niveau hat. „Bonsai“ – und das vertieft den Eindruck – läßt sich auch als Chronik eines angekündigten Selbstmordes lesen. Jenes Selbstmordes, den jedes Leben lebenslang vorbereitet und der potentielle Selbstmord des Lebens an sich ist. Stefans Lebenslust und Lebensverzicht summiert die ewige Lust auf Leben wie den ewigen Verzicht. Summiert werden die Erfüllungen, in denen soviel Unerfülltes ist wie im Unerfüllten die erwarteten Erfüllungen. Die Nina-Stefan-Story ist die Summe der Träume, die in dem Trost enden, daß neue Träume zu träumen sind. Wird auch dieser Traum nicht wahr, bleibt die Trauer, der Trost sein kann. Das ist keine Lebenslüge. Das ist Lebenswahrheit. „Die Trauer hat das Fleisch von den Knochen geschält“, heißt es nach Stefans Tod. Der Satz hat Klarheit. Die bildhafte Klarheit, die Kirsten Thorup der Sprache nicht abtrotzt. Mit ihrem Schreiben macht sie bildhaft klar, was wahr ist. –Auf so ein Exportgut ist in keiner Sprache zu verzichten.

Bernd Heimberger
03.09.2005

 
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Das Buch:

Kirsten Thorup: Bonsai. Aus dem Dänischen von Angelika Gundlach

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Frankfurt am Main, Leipzig: Insel Verlag 2005
319 S., € 22,90
ISBN: 3-4581-7237-8

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