Romane

Stell Dir vor , Dein Sohn ist ein Attentäter

Paul Allen lebt ein glückliches Leben. Der Rheumatologe arbeitet in Manhattan und ist in zweiter Ehe verheiratet. Er bewohnt mit seiner Frau Fran sowie den beiden Zwillingen Alex und Wally ein Haus außerhalb von New York. An einem Donnerstagabend, als die Familie in Vorfreude auf ihren wöchentlichen Pizzaabend ist, laufen im Fernsehen die ersten Bilder vom Attentat auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jay Seagram. Sogleich halten die Nachrichtensender auch ein erstes Bild vom mutmaßlichen Attentäter bereit. Paul Allen zieht es förmlich den Boden unter den Füßen weg: Der Mann, der Jay Seagram erschossen haben soll, ist Danny, sein erwachsener Sohn aus erster Ehe.

Paul hat kaum Zeit nachzudenken, denn sogleich klingelt es an der Tür. Agenten vom Secret Service holen ihn aus seinem bis vor kurzem noch idyllischen und glücklichen Leben ab. Von nun an ist für Paul nichts mehr, wie es einmal war. Er kann einfach nicht glauben, dass sein Sohn diese Tat verübt haben soll. Danny hingegen lässt die Anschuldigungen sowie die Anklage regungslos und ohne Einwände über sich ergehen, so dass er schließlich zum Tode verurteilt wird. Paul hingegen bleibt nun keine Zeit mehr. Er stürzt sich Hals über Kopf in wilde Spekulationen, versucht das Leben seines Sohnes, der größtenteils bei seiner Mutter am anderen Ende der USA aufgewachsen ist, nachzuvollziehen. Dabei stößt Paul in den Monaten vor dem Attentat auf einige Ungereimtheiten, die ihn glauben lassen, dass Danny einer Verschwörung zum Opfer gefallen ist. Paul ist zu allem bereit, um die Unschuld seines Sohns zu beweisen.

"Der Vater des Attentäters" ist der neueste Roman aus der Feder von Noah Hawley. Der 46-jährige US-Amerikaner ist hierzulande vor allem durch seine TV-Serie "Bones - Die Knochenjägerin" bekannt. Das vorliegende Werk ist sein vierter Roman. Hawley ist es hierin hervorragend gelungen, die emotionale Situation und die Achterbahnfahrten in der Psyche von Paul Allen zu beschreiben. Der Wahnsinn, in den der Vater hineingezogen wurde, wird für den Leser greifbar. Hawley zieht ein undurchsichtiges Netz an Spuren auf, so dass der Leser bis kurz vor Schluss des Buchs nicht weiß, was er zu erwarten hat. Wird letztlich der Vater in seinem Irrglauben, der Sohn sei nur das Opfer in einem abgekarteten Spiel, kuriert oder ist er tatsächlich auf der richtigen Fährte und dabei, ein hinterhältiges Komplott aufzudecken?

Der Autor hat für das vorliegende Werk eine sehr ambitionierte Konstruktion von verschiedenen Handlungsfäden gewählt. Da wären neben den verzweifelten Bemühungen des Ich-Erzählers Paul im Hauptstrang zahlreiche Rückblenden auf Episoden aus Dannys Odyssee durch die Vereinigten Staaten, nachdem dieser das College abgebrochen und sich auf einen Road Trip durchs ganze Land begeben hatte, der ihn schließlich nach Kalifornien, wo das Attentat auf Seagram verübt wurde, brachte. Darüber hinaus lässt Hawley beständig in Exkursen Abrisse über die bedeutsamsten Attentäter der amerikanischen Geschichte einfließen. Der Leser lernt John Hinckley oder Timothy McVeigh kennen und versucht zu verstehen, warum diese Ronald Reagan ermorden wollten oder ein Hochhaus in Oklahoma in die Luft jagten.

"Der Vater des Attentäters" ist starker Tobak und garantiert kein leichter Lesestoff für zwischendurch. Das beängstigende und von Hawley äußerst gelungen beschriebene Szenario mündet für die engsten Angehörigen des Attentäters in den Alptraum ihres Lebens. Wie Hawley dem Leser eindringlich vor Augen führt, muss es für Vater und Mutter schlichtweg die Hölle auf Erden sein, die einen in die Verzweiflung treibt und das bisher gelebte Leben wie einen falschen Film vorkommen lässt. Hawley beschreibt meisterhaft, wie der Vater zum gesellschaftlichen Zombie mutiert, alles inklusive seines glücklichen Familienlebens hinter sich lässt, um den Strohhalm zu finden, an den er sich klammern kann. Doch bleibt es nicht aus, den Blick in die Vergangenheit zu richten und sich zu fragen, an welcher Stelle das Unheil seinen Lauf nahm.

Christoph Mahnel
10.02.2014

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Noah Hawley: Der Vater des Attentäters

CMS_IMGTITLE[1]

Zürich: Verlag Nagel & Kimche AG 2014
400 S., € 21,90
ISBN 978-3-312-00603-8

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.