Romane
Familiengeheimnisse und seltsame Morde
"48-Jährige im Allgäu, aufopfernde Katholikin, Minijobberin bei Essen auf Rädern, Mutter von vier Kindern, liebende Ehefrau, ehrenamtlich Engagierte in kirchlichen Vereinen wird verdächtigt, systematisch ihre Herkunftsfamilie vernichtet zu haben."
Aus dieser knappen Zeitungsmeldung soll die Hamburger Journalistin Luna Marie Wagner - Eigenbrötlerin, Single, keine Kinder, erfolgreich im Beruf - ausgerechnet an ihrem fünfzigsten Geburtstag einen Bericht für eine kleine Zeitung im Allgäu schreiben. Was also bringt eine 48-Jährige dazu, ihre Familie zu vernichten - und was bedeutet "vernichten" eigentlich genau? Egal, Luna Marie fährt ganz spontan für eine kurze Recherche ins Allgäu. Dort landet sie eher zufällig in der Pension von Frau Engelhardt, die mehr über die Geschichte zu wissen scheint, als sie zugeben will ...
Und dann ist da die andere Frau: Eigenbrötlerin, Mutter, kreativ, hyperaktiv, hyperengagiert, hypersensibel, vielleicht sogar hochbegabt, leistungsfähiger Workaholic, kümmernder Sozialaholic ... aber Memoiren schreiben? Durch ihr nie diagnostiziertes, aber wohl vorhandenes Asperger-Syndrom hatte sie von jeher Schwierigkeiten, sich ihrer Umwelt gegenüber adäquat mitzuteilen und Kontakte vernünftig zu knüpfen. Also lieber im Internet einen einigermaßen intelligenten Menschen suchen, dem sie ihre Lebensgeschichte unter dem Pseudonym Gunhilde Maria von Aarstein erzählen kann, um für sich selbst neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und sie hat so einiges zu erzählen ...
Luna Marie entdeckt eine Wahrheit, die auch ihre eigene Welt aus den Angeln hebt - und Gunhilde spricht zum ersten Mal über die Geheimnisse ihrer eigenen Familie.
Brigitte Kremer lässt ihre handelnden Personen sämtlich in der Ich-Form erzählen, so dass der Leser in die Gefühlswelt von Luna Marie und Gunhilde eintauchen kann. Die beiden Frauen mit ihrem so unterschiedlichen Leben kennen sich nicht, und doch scheint sie eines zu einen: dass Geheimnisse, die eine Familie sorgsam hütet, unvorhersehbaren Schaden anrichten können.
Ob es noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Frauen gibt, lässt die Autorin bis zum sehr überraschenden Ende dieses wirklich empfehlenswerten Buches offen.
Und wie Brigitte Kremer in ihrem Vorwort so schön sagt: Vielleicht gibt es die wahre Geschichte auch gar nicht ...
Annette Sunder
02.12.2013