Romane
Blicke zurück in eine bewegte Jugend
Das Grunderlebnis einer gl?cklichen Jugend sei die beste Garantie daf?r, dass ein Menschenleben in gute Bahnen verlaufe. So hatte es einmal eine Jugendstaatsanw?ltin ausgedr?ckt. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb viele Menschen mit Hingabe ihren Erinnerungen nachgehen und diese festzuhalten versuchen. Ein sehr sch?nes Beispiel daf?r ist Ursula Esslings "Lockenkopf I", der unter dem Titel "Warum weint man, wenn einem etwas gef?llt?" erschienen ist. "Lockenkopf II" folgte dann unter der ?berschrift "Das L?cheln einer Fledermaus". Der erste Band breitet die Erlebnisse aus, die aus der Sicht eines zehnj?hrigen Kindes aufgezeichnet wurden, der Folgeband gilt den Jahren zehn bis vierzehn.
Band I also ist so etwas wie die gespeicherte Fassung der ersten Lebensjahre, die Ursula Essling durchlebte. Sie, die 1943 geboren wurde und heute bei Frankfurt am Main lebt, verbindet pers?nliches Bildmaterial mit leicht lesbarem Text, alles verr?t eine ?beraus fr?hliche, positive Lebenshaltung voller Zuversicht. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass ihr Geburtstag geschichtlich eine Wende bedeutete und jene ersten Jahre alles andere als paradiesisch leicht verliefen. Es tritt zwar eine Ulrike Scholl auf, aber dahinter steht die Autorin, mit sich zufrieden, wie auf Schritt und Tritt zu beobachten ist.
So beginnt es im Herbst 1946, auf einem Hofgut, wo das Kind einen Knaben namens Peter liebt. "Wir wollen sp?ter mal heiraten", hei?t es schon auf den ersten Seiten. Das bezeugt schon fr?h, dass die Autorin auf die gute Seite setzte, wo das Lachen zu Hause ist. Wir tauchen ein in die Szenerie von Kattenbach, wo ausf?hrlich von Schulfreundinnen und der Arbeit der Eltern die Rede ist. Uns begegnet ein M?dchen beim Schulbeginn, gl?cklich mit einer Zuckert?te in den Armen. Wir begleiten sie zur Hochzeit ihres Lehrers, blicken ins Gesicht der Braut und k?nnen wie Ulrike nicht von ihr lassen.
Schon die Titel fordern unsere Neugier heraus. Warum, so fragen die Leser, w?re die Kleine so gerne katholisch? Und man nascht vom S??en. Dann h?rt man mit Ulrike die Lieder von damals, die "ganz traurigen", die einen weinen lassen. Ja, warum weint man, wenn einem etwas gef?llt? Vieles hat die Autorin einfach hingesetzt, ohne zu forschen und ohne dicke erkl?rende B?cher. Das macht den Reiz dieses Buches aus - n?mlich, dass es erz?hlt und nicht belehrt. "Bei uns in Kattenbach sind alle Leute neugierig." Auch Leser darf es hier sein.
Nun holt die Erz?hlung nicht nur in die Kinderstube, sondern auch in eine Stahlgie?erei, in der es nicht nur schrecklich hei? war, sondern auch schrecklich langweilig. Zusammen mit einem US-amerikanischen Soldaten ergibt sich ein zorniges Donnerwetter und damit eine h?bsche eigene Geschichte in der Geschichte. Auch Strafaufgaben geh?ren zum jungen Leben, genauso wie das Vergn?gen mit den anderen Kindern. Nicht nur die Wahrheit passt in die Jugend hinein, oft sind es auch L?gen, gute L?gen. Wie vers?hnlich alles t?nt. "Ich lebe gerne in Kattenbach", schreibt die Autorin, "hier wei? man wenigstens, wo man dran ist, eben weil man die Leute kennt."
Jetzt kennen auch die Leser diese Welt, die eine Jugend lang zum Erlebnis wurde. Die T?r einen Spalt weit ge?ffnet, ein Ohr f?r einige Minuten hineingehalten ? das Buch ist eine freundliche Einladung. Mehr: Es ist ein Aufsteller f?r alle, die Augen und Ohren haben.
Ronald Roggen
17.12.2012