Romane

Ein Irrtum , eine Lüge - und ein Leben damit

Mit ihrem Buch "Die Lebensl?ge" blendet Helga Dreher in den Zweiten Weltkrieg und dessen Nachgeschichte zur?ck. Das ist die Kulisse f?r eine verwickelte Erz?hlung, die ihren Ausl?ser in einem kriegsbedingt dramatischen Vorfall hat: dem irrt?mlichen Vertauschen von Babys im Laufe eines Bahntransports. Die junge Mutter, zun?chst zutiefst erschrocken, verlegt sich anschlie?end in eine Notl?ge, die letztlich zur Lebensl?ge anw?chst. Damit breitet sich vor dem Leser ein breites Problemfeld aus.

Zun?chst geht es um ein Verdecken und Aufdecken und um Konsequenzen, die die junge Mutter kaum erahnen konnte. So ergibt sich nicht nur die Frage nach dem Verbleib des eigenen, verschwundenen Babys, sondern auch die nach der richtigen Mutter des angenommenen. Mehr noch: Auf die inzwischen zur Frau herangereiften Tochter folgen deren Kinder - also Enkel, die dann doch nicht leibliche Enkel sind. Es folgen Nachforschungen in diese und jene Richtungen, mehrgleisige Spurensuche mit falschen Erwartungen und auch falschem Ergebnis.

Helga Dreher hat dies sehr spannungsvoll angelegt. Sie hat schon mit ihrem Buch "Zigeunerwallfahrt" gezeigt, wie sie biografische Etappen und Verzweigungen in S?tze zu fassen vermag. Eingebaut sind auch Elemente wie die Namensgebungen. "Wilhelmina" legt die F?hrte zur?ck zum Preu?entum, "Marlene" eine weitere zur gro?en Dietrich. Das regt ohne Zweifel stark an und beweist einen geschickten Umgang mit Autorenmitteln dieser Art.

Aber das Buch f?hrt f?r Interessierte, die ?ber die Buchdeckel hinausdenken, zu weiteren Horizonten. "Lebensl?ge" ist ja ein nicht nur inhaltsreicher Buchtitel, sondern auch ein literarisch und philosophisch mehrfach behandelter Stoff. Prominenter Ausl?ser der Lebensl?gen-Diskussion war Henrik Ibsen mit seiner "Wildente". Dieses 1884 ver?ffentlichte Schauspiel hat eine nachhaltige Wirkung erzielt und damit auch eine Kontroverse ausgel?st. Die einen, unter ihnen vorab Psychologen, warnen vor Lebensl?gen, andere folgen der Arzt-Figur im St?ck, indem sie sagen: "Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebensl?ge, und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Gl?ck."

Helga Dreher folgt dem zweiten, pragmatischen und zugleich vers?hnlichen Weg. "Ich l?ge, um unser aller Gl?ck nicht zu zerst?ren." Das steckt auch in der sogenannten Abrahamsl?ge in der Bibel. Da lie?e sich, angeregt von Helga Drehers Buch, sehr lange debattieren. Wer sich darauf einlassen m?chte, tut gut daran, die verschiedenen Ichs im Buch zu beachten. Im Ich schreibt nicht nur Wilhelmina, sondern auch Marlene.

"Die Lebensl?ge" ist ein Buch, das zwar die notgepeinigte Mitte des 20. Jahrhunderts durchzieht, aber seine Kernfrage in frischer Aktualit?t an den Leser von heute richtet.

Ronald Roggen
06.08.2012

 
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Das Buch:

Helga Dreher: Die Lebenslüge

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Großrosseln: Dvg-Digitalverlag 2012
214 S., € 12,50
ISBN: 978-3-945329-46-7

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