Romane

Abseits des Alltäglichen

Ja, was denn nun? Ist?s eine Satire, gar eine schwarze Satire, was in den vergangenen beiden Tagen gelesen wurde? Was ist eine schwarze Satire? Ist das der Roman "Der Mann mit den zwei Augen"? Das neue Buch des Schweizers Matthias Zschokke, der vor Jahrzehnten in Berlin sesshaft wurde. Schnell, nachdem der Schriftsteller seine Leser 2009 mit dem mehrfach ?berraschenden E-Mail-Roman "Lieber Niels" beeindruckt hat. Zschokke ist kein Vielschreiber. Er ist kein Vielsager, kein Allessager. So viel er auch in "Lieber Niels" sagte, weil er was zu sagen wusste. Mit dem Sinn f?r Leichtigkeit, Witz und Gescheitheit. War Zschokke je ein direkterer, offenerer, sich ?ffnender, offenbarender Matthias Zschokke? Der ist er nicht als Autor des Romans "Der Mann mit den zwei Augen". Muss er auch nicht. Literatur ist die zweite Wirklichkeit des Lebens und somit eine eigene Wirklichkeit. Also fiktive Realit?t, die meist ihren Ursprung in der Realit?t hat.

"Der Mann mit den zwei Augen" ist das neue Erz?hlwerk des Epikers Zschokke. Der Mann ohne Namen, von dem die Rede ist, ist nicht der Zwilling des Erz?hlers. Nicht abwegig ist, ihn einen Engvertrauten des Verfassers zu nennen. Das rechtfertigt auch der Romantitel, der Neugierige, Interessierte zun?chst einmal stutzig machen muss. Ist das nicht das Selbstverst?ndliche wie Normale, dass der Mensch ein Zwei?ugiger ist? Nachdenklich geworden, wei? man zugleich, wie h?ufig den Zwei?ugigen Ein?ugigkeit vorgeworfen wird. Im Sinne des Erz?hlers ist das zweite Auge das des F?hlenden. Das Auge, das hinter dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen l?sst. Das Auge dessen, der erschaut, was die Sehenden sehenden Auges ?bersehen. Also ist klar, mit was f?r einem Mann es die Leser des Romans zu tun bekommen?

Von dem "Mann mit den zwei Augen", der der Mehrseher ist, gibt?s nicht all zu viel zu sehen. Er ist keiner, der durch heroisches Handeln fesselt und so an den Roman. Im Grunde ist der permanent-pubert?re Mann mittleren Alters, ein Bruder des Jungmanns, der auf dem Titelumschlag abgebildet ist. Den beschreibt der Erz?hler wie folgt: "Er ... sehnt sich nach einer sonnenbeschiedenen Wiese, auf die er sich r?cklings h?tte legen m?gen, mitten ins warme Gras, unter einem Apfelbaum am liebsten, die H?nde ?berm Bauch gefaltet, den Blick verloren im Blau des Sommernachmittagshimmels". Einer, der sich wegsehnt von dem, was ihm widerf?hrt. Also ab ins Abseits? Nicht ins Abseitige. Ins Absurde. Ins Irrationale. Aber ein bisschen abseits des allgemeinen Allt?glichen? W?re schon sch?n. So gerichtet und ausgerichtet, l?sst sich?s leben f?r den Mann. Ohne ein leichtes, leichtfertiges Leben zu leben. So existiert kein Protz. Kein Durchrei?er. Kein Auff?lliger. Eher einer, der leicht zu verwechseln ist. Alltagsmensch, der das Unallt?gliche liebt. Nichts Ungew?hnliches im Gew?hnlichen also. Ein Normaler, dem gar nichts daran liegt, ein Normaler zu sein. Was ist das Normale?

Ist?s das Normale, binnen vierundzwanzig Stunden zwei Tode hinzunehmen? F?r den "Mann mit den zwei Augen" ist das zu Beginn des Romans die Normalit?t. Es sterben eine Katze und ihre Besitzerin: "Die Frau mit der er zusammen in derselben Wohnung lebt", wie es wenig variiert wieder und wieder hei?t. Die Frau, mit der der Mann rund drei?ig Jahre in der gemeinsamen Wohnung wohnte. Donnerwetter, wenn das keine au?erordentliche, ungew?hnliche Geschichte ist. Sofern das die Geschichte des Romans ist. Mehr Geschichte gibt?s nicht. Geschichten schon. Ist die Geschichte eine Liebesgeschichte? Eine schwarze gar? Etwa eine makabere? Manches mag manchem so erscheinen. Eine besondere Liebesgeschichte der besonderen Art ist?s schon. Die Geschichte zweier Solisten, deren Sein solistisch ist. Die so "werden, was wir sind". Wie wir alle, die wir solistische Wesen sind? Fragezeichen! Sich darauf einigen, dass Matthias Zschokke abermals vom "werden, was wir sind" erz?hlt? Was wird werden mit dem Werden, wenn man das Werdenwollen nicht im Sinn hat? F?r den Mann mit den zwei Augen, f?r die Frau "in derselben Wohnung"? Ein Paar: in der Zeit, au?er der Zeit. Nicht mitgerissen von der beschleunigten Zeit. Das Buch ist voll der Besinnungen auf die Entschleunigung der Zeit. Ist voll der Gedanken des Abschiednehmens, des nachlassenden Lebens, des sich n?hernden Sterbens. Das bedeutet, stets bereit zu sein f?r die Stille in der l?rmenden Welt. Sich also vorstellen, dass die Vorstellung vom Erleben auch ein Erleben ist. St?rker noch als das Erleben?

Das Geschehen in "Der Mann mit den zwei Augen" ist kein weltbewegendes Geschehen. Au?er, es wird alles, was geschieht, als etwas gesehen, was die Welt bewegt. Und sei?s nur unmerklich. Ist das vermeintlich Unmerkliche nicht das Eigentliche, weil es die wesentlichen Momente des Lebens sind? Das ist wohl so. Zumindest f?r Matthias Zschokke. Also des Erz?hlens wert und wichtig. Im Rhythmus des gleichm??igen auf- und abschwellenden Tons seiner Erz?hlweise. Die hat die magnetische Sprachkraft, die die Leser am Roman h?lt. Was g?rt in den Texten des Romans "Der Mann mit den zwei Augen", g?rt hinter den Texten. Das sp?rt, wer mit dem zweiten Auge liest.

Bernd Heimberger
13.08.2012

 
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Das Buch:

Matthias Zschokke: Der Mann mit den zwei Augen

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Göttingen: Wallstein Verlag 2012
240 S., € 19,90
ISBN: 978-3-8353-1111-4

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