Romane

Dauermüde , dauerwütend , dauerenttäuscht

Mitte drei?ig, beruflich erfolgreich, nach einigen Fehlstarts doch mit einem liebevollen, netten und t?chtigen Mann verheiratet - und nun ist auch noch ein Wunschkind unterwegs, welches ein gesunder und s??er Junge wird! Dem definitiven Happy End, dem trauten Leben zu dritt steht nichts mehr im Weg - denkt die junge Mutter.
Stattdessen erlebt sie einen Schnuller-Schock, oder, wie der schwedische Originaltitel hei?t, den Baby Blues. Der herbeigesehnte Erziehungs-"urlaub" wird bestimmt durch Schlafentzug und Kommunikationsreduktion, durch Milchtr?pfeln, Wochenfluss, Stressschwei?str?me und Tr?nenfluten.

Der Ehemann/Vater strickt derweil, "doch f?r uns alle!", erfolgreich an seiner Karriere weiter. Er arbeitet von fr?h bis sp?t, verdient gut und baut auf. Einmal kommt er heim von einer l?ngeren Gesch?ftsreise und f?hlt ich ziemlich Jetlag-gesch?digt. Sie bricht in Tr?nen aus: "Du leidest unter Jetlag? Ach ja? Ich leide seit Monaten unter Jetlag!" Als er nach einer stressigen Woche am Wochenende abschalten will, schreit sie: "Ach so. DU musst auch mal abschalten. Und ich, wann darf ich mal abschalten? Ich schiebe hier jede, aber auch jede Schicht in dieser Teufelsfabrik. Hier gibt es keine Kantine f?r das Personal, keine Vertretung, jede Nacht werde ich dreimal geweckt, den ganzen Tag habe ich die Verantwortung f?r ein Kind, das immer nur kurze Zeit schl?ft, das weint, sobald Auto oder Kinderwagen anhalten, das st?ndige Aufmerksamkeit verlangt ? ich schaffe das nicht mehr, wenn ich dann nicht auch mal am Wochenende eine Pause einlegen kann! Ich heule jeden Morgen vor Ersch?pfung, wenn du ins B?ro gegangen bist! Ich halte das nicht mehr aus!" - Karl sieht mich ganz erschrocken an. "Das habe ich doch nicht gewusst", sagt er. "Ich dachte, ihr macht es euch am Tage gem?tlich!"

Pia Hintze leidet authentisch. Sie kommt zu nix, daf?r steigen die Erinnerungen an Dinge, die in ihrer Herkunftsfamilie unter den Teppich gekehrt wurden, an die Oberfl?che. - Das Happy End kommt am Ende doch noch. Das Haus auf dem Land wird verkauft, die junge Familie zieht wieder in die Stadt; die siebte der getesteten Krabbelstuben erscheint vertrauenerweckend, Muttern kann wieder arbeiten gehen.

Wie kann das Baby Blues Ph?nomen sich offenbar so zunehmend verbreiten, frage ich mich. Ist es das Ende der stressigen B?roarbeit f?r bisher berufst?tige M?tter? Sinkt durch den Mutterschaftsurlaub der Adrenalinspiegel und ein Gef?hl von Sinnlosigkeit und Leere macht sich breit? Denn den Freundinnen und anderen jungen Familien, von denen die Autorin berichtet, geht es ja ?hnlich. Muttern ist dauerm?de ? warum? Weil sie keinen Rhythmus anstrebt. Sie ist dauerw?tend und dauerentt?uscht ? warum? Weil sie sich falsche Vorstellungen gemacht hat.

Eine Lese-Empfehlung f?r diesen Roman-Bericht ?ber ein Babyjahr? Unbedingt, ja: Es ist ein Trost f?r junge M?tter, dass nicht nur ihnen das Dach auf den Kopf f?llt; ein Trost f?r junge V?ter, dass nicht nur ihre Frau "spinnt" und "wegflie?t"; dauerm?de, dauerw?tend, dauerentt?uscht ist. Dabei letztlich doch voller Liebe f?r Kind und Vater. Und, ganz wichtig: Es ist auch eine Anleitung, wie eine junge Mutter es nicht machen soll. (Anleitung zum Bessermachen siehe Doro Kammerer. Das erste Lebensjahr. Ratgeber f?r Eltern. DTV Oktober 2002.)

rts
01.05.2003

 
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Das Buch:

Pia Hintze: Der Schnuller-Schock

CMS_IMGTITLE[1]

München: dtv 2003
240 S.
ISBN: 3-423-24337-6

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