Romane
Mit den Augen lauschen
"Zehn Jahre sp?ter begegnete ich dem blinden Kritiker, dem Patriziersohn Marius van Vlooten, der sich als Student einer ungl?cklichen Liebe wegen eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, erneut." Das sind die ersten Zeilen von Margriet de Moors anr?hrendem Buch mit dem schlichten Titel Kreutzersonate. Wer sich auch nur ein bisschen f?r Musik interessiert, wird mit dieser Lekt?re reich beschenkt ? binnen weniger Seiten gelingt es de Moor, den Leser zu fesseln, ihn in das Geschehen um den beeindruckenden Kritiker Marius van Vlooten und den Musikologen, aus dessen Sicht die Geschichte geschrieben ist, hinein zu ziehen.
Was bewog den hoffnungsvollen Spro? einer betuchten Familie, sich eines Tages einfach eine Kugel in den Kopf zu jagen, was zur Blindheit f?hrt? Nat?rlich ist es die Liebe, die ungl?cklich endete. Der Student ?berlebt dieses Ereignis, doch die Juristerei wird ihn nicht mehr sehen. Durch die Konzentration auf die anderen K?rpersinne entwickelt van Vlooten ein untr?gliches Geh?r, das ihn pr?destiniert, sich auf dem Feld seiner zweiten Leidenschaft, der Musik, als Kritiker zu bet?tigen. van Vlootens Ohren sind unbestechlich, kein Missgriff entgeht ihnen und dar?ber hinaus besitzt er ein grandioses Wissen ?ber Werke und Ausf?hrende. Im Flughafen trifft ihn der Ich-Erz?hler und erinnert in R?ckblenden an die Erlebnisse, der er mit Marius van Vlooten schon hatte. Er ist es, der den blinden Musikkritiker mit Suzanna Flier bekannt macht, der ersten Geigerin im Schulhoff Kwartett. Das Quartett ist ein hervorragendes Ensemble und Suzanna Flier mit der Kreutzersonate zu h?ren, ver?ndert das Leben des Marius van Vlooten. Er verliebt sich in die Violinistin, heiratet sie, bekommt einen Sohn mit ihr und doch geht auch diese Geschichte nicht so aus wie erhofft.
Die Berichte van Vlootens ?ber seine Liebesleben und die Beschreibung der Beziehung quasi von au?en durch den Erz?hler erg?nzen sich zu einem Bild. Doch das wirklich belebende Moment kommt von einer ganz anderen Ebene herein, die das Buch f?r alle Musikliebhaber nahezu zum Muss macht: ?ber allem schweben die Kl?nge der Kreutzersonate, des Schicksalsst?cks des Paares und noch viel mehr. Dem Leser erschlie?en sich ganz neue Einblicke in die Welt der T?ne, er erf?hrt unglaublich viel ?ber die Arbeit in einem Quartett, ?ber das Herangehen der Musiker an ein Werk, die vielen Gedanken, die sich die Interpreten ?ber die richtige Deutung machen. Das alles wird nun nicht dozierend-einschl?fernd vorgebracht, ganz im Gegenteil. Margriet de Moor baut ihr Buch so wunderbar wie ein Konzert auf ? mit jedem Ton vergisst der Zuh?rer, dass er auf der Erde ist und so geht es dem Leser mit jeder Seite. Er lauscht mit den Augen, er findet die gesamte packende Musik Jan?ceks ??bersetzt? in eine Lebensgeschichte, die die Komposition ins Wort, ins Bild, ins direkte Erleben bringt. Und so, wie die T?ne zwar nach dem St?ck nachschwingen, in der Seele leben, schwebt das Gef?hl der unerreichbaren wahren, einzig g?ltigen und allumfassenden Liebe nach der Lekt?re im Raum. Dass nicht sofort applaudiert, die Stimmung mit "Bravo-Rufen" zerhackt wird, bedeutet keinesfalls Missfallen, ganz im Gegenteil. Es ist diese seltsam zarte, ber?hrte Stimmung im Konzertsaal, die einen leise aufstehen, gehen und erst drau?en ein bisschen weinen l?sst, wenn man ?ber sich nur noch den Sternenhimmel hat.
csc
25.08.2002