Romane
Lauf Zorrow lauf
In eine poetisch verdichtete Traumwelt entführt uns der Lyriker Henning Ahrens in seinem sehr originellen Prosadebüt. Ein Roman, "der im Hinterland dessen spielt, was man Wirklichkeit nennt". Und damit bezeichnet sich nicht nur der Ort des Erzählens, sondern auch die Perspektive, die Erzählweise dieses schrillen ungewöhnlich zitatreichen Textes, der uns in ein skurriles Märchen führt und insbesondere in der Tradition von Ernst Kreuders Erzählung "Die Geschichte vom Dachboden" und des Romans "Die Unauffindbaren" steht. Schon dort agieren die Helden im Abseits, sind verschollen, finden Magie, Märchen und gelebte Anarchie zusammen, in die sich Henning Ahrens nun auf eigene ungewöhnliche Weise hineinschreibt.
Erzählt wird da von einem jungen Mann namens Oskar Zorrow, der im ICE sitzt und in die Stadt Nillberg fährt, in der er nie ankommt. Denn er blickt während eines kurzen Aufenthalts in die Augen eines Fuchses, dem er folgen muss. Und so zieht er, kaum dass der Zug wieder volle Fahrt aufgenommen hat, die Notbremse, um dem Tier zu folgen. Doch schon bald, in der Wildnis, wird er von einer vierköpfigen Künstlertruppe gefangengehalten, die sich die "Widergänger" nennen. Sie leben abseits der zivilisierten Welt, autark auf einem verlassenen Landgut namens Morrzow, umgeben vom Nebelland des Vergessens und sind eigentlich "unauffindbar" , wie John Schmutz, Maler und Anführer der ominösen Bohemientruppe, behauptet. Aber nur eigentlich, wie Zorrow herausfindet, nachdem er in Frauenkleidern sexuelle Dienste leisten muss, es aus Morrzow kein Entkommen zu geben scheint, und er selber zum Widergänger erklärt wird. Denn das Leben besteht zunehmend aus der Furcht vor dem mythisch überhöhten Erk, ein Abtrünniger der Künstlerkolonie und Erzschurke, der sich zum Ziel gesetzt hat sämtliche Gruppenmitglieder zu töten. Und nun spielen sie Jäger und Gejagte, begegnen sich in einer eigenartig kuriosen Dramaturgie des Gegensätzlichen, bis die sadomasochistischen Machtspiele zwischen Wald, Gehöft und Flur, bereichert mit so mythischen Figuren wie Bocksbeinige und Engel, auf ein gewaltiges Finale zusteuern.
Auf ein Halali, stets dicht am Abgrund der Lächerlichkeit, ohne jedoch lächerlich zu wirken, was die entscheidende Hürde dieses Romans ist. Aber Henning Ahrens überspringt sie behände und lässt die geheimnisvoll klaustrophobische Atmosphäre des Romans nachhallen bis zum Schluss. Zum herausragend wortverspielten Klang der Sprache gesellt sich die schrille Fiktion eines abgerundeten Geschehens, Handlungsstränge und Motive werden kriminalistisch sorgfältig verfolgt. Eine ungewöhnliche Art des Lesens und spannend-atmosphärisch zugleich!
Fra
30.08.2002