Romane
Gerüchteküche in der Provinz
Ein Gerücht hat es so an sich, dass meist nichts dahintersteckt. Nur solange kann es ein Gerücht bleiben. Keinesfalls darf klar sein, dass tatsächlich nichts dahintersteckt, vielmehr könnte ja etwas dahinterstecken. Aber man weiß es eben nicht und darüber wird dann hitzig diskutiert, ja gestritten, auf den Plätzen und in den Gasthäusern. Was dabei entsteht ist eine Gerüchteküche. Tatort: Klausen, eine Kleinstadt in der Nähe von Bozen, Gegenstand des Anstoßes: die Autobahn als Symbol der Modernisierung, der Lärm, die Bürgerinitiative, inmitten der geschundenen Natur.
Andreas Maier, der beim Bachmann-Wettbewerb 2000 mit "Diagnosestunde" den Ernst-Willner-Preis bekam und im gleichen Jahr mit seinem Romandebüt "Wäldchestag" gleich drei Auszeichnungen einstrich, setzt nun mit dem zweiten Roman eindrucksvoll nach. Wieder widmet er sich dem Genre des Heimatromans, wieder geht es um eine provinzielle Gemeinschaft, und wieder geht es um einen Erzählraum, der sich durch das Hörensagen erschließt, dann nämlich, wenn einer dem anderen etwas sagt, was ein anderer gesagt habe, angeblich!, aber sicher, nein sicher sei er sich da nicht, etcetera. Der Protagonist des Romans heißt Josef Gasser, ein Einheimischer, der in Berlin studierte, im örtlichen Fremdenverkehrsverein arbeitet und den Klausnern suspekt geworden ist. Einer, der mit Auer, einem Künstler, in der Kneipe sitzt. Ein Tunichtgut. Und nun ereignen sich ’Ungeheuerlichkeiten’: ein Immobilienskandal droht, Vogelschützer gehen gegen die Lichtkanone der Disco vor und die örtliche Bürgerinitiative will etwas gegen den Lärm der Autobahn tun. Der Besitzer der Disco wird also zusammengeschlagen, die Lärmmessung durch die Bürgerinitiative wird gewaltsam gestört, Menschen werden verletzt; hinter allem: wirtschaftliche Interessen und diffuse Stimmungen der Bevölkerung.
Maier lässt ein Klima der Verdächtigungen und Unterstellungen entstehen, das beeindruckt und für das er eine nahezu perfekte Form gefunden hat, eine Prosa, die sich, verglichen mit "Wäldchestag", durch den sparsamen Umgang mit dem Konjunktiv und eine auktoriale Erzählstimme auszeichnet, die anonym und zurückhaltend daherkommt, gleichzeitig jedoch packend und rhythmisch ist und auf einen stillen Höhepunkt zusteuert: Den Anschlag auf die Autobahnbrücke, ein versuchter Anschlag, ein Anschlag, der vielleicht gar keiner war, weil doch nur die Autobahn gesperrt wurde, wie man hört. Und zwischen allen Stühlen sitzt Josef Gasser, von dem zwar jeder behauptet, er habe maßgeblichen Anteil an dem Ganzen, ja sei der führende Kopf gewesen, aber genau weiß man eben nix: "... welche Rolle Gasser in dem Geschehen gespielt hatte, es war nicht einmal sicher, ob er überhaupt eine Rolle gespielt hatte."
Andreas Maier lässt die wissbegierigen Klausner nach der Wahrheit suchen, indem sie pausenlos reden, sie finden aber nur die Wahrheit, die ihnen am besten ins Konzept passt. Aber das, so die Botschaft, ist das Gegenteil von Wahrheit, denn die scheint es nur zu geben, wenn das andauernde Gequatsche aufhört. Einmal geschieht das tatsächlich, dann nämlich, als die Autos auf der Brücke einen Moment ruhig stehen und alle Klausner den Atem anhalten. "Etwas Unfaßbares war eingetreten: Stille". Das Gerücht war einen Moment abwesend.
Andreas Maier ist ein stilles, ein großartiges Buch gelungen!
Fra
01.08.2002