Romane

Jesus Christ Castingstar

In den letzten 400 Jahren ist es der Menschheit oftmals alles andere als wundervoll ergangen. Kriege, Massaker, Hungersn?te, religi?ser Fanatismus, Wirtschaftskrisen - ein gr??eres Arsenal an Schrecklichkeiten k?nnte man sich kaum vorstellen. Doch wussten Sie, weshalb es auf dem blauen Planeten auch jetzt noch vielerorts derma?en schauderhaft zugeht? Die Antwort, die der neueste Streich von John Niven auf diese Frage zu bieten hat, k?nnte einfacher nicht sein: Gott hatte Urlaub und konnte sich daher seiner Sch?pfung nicht annehmen. Und da der Zeitfluss im Himmel anders verl?uft als auf der Erde, bedeutet eine Woche Angelurlaub f?r Gott rund vier "gottlose" Jahrhunderte seitens aller Sterblichen. 

Gott kann kaum glauben, wie grauenvoll sich seine Sch?tzlinge benommen haben, w?hrend er sich seine redlich verdiente Auszeit g?nnte. Ebenso entt?uscht ist er von seinem Sohn, der es scheinbar vorgezogen hat, von Jimi Hendrix Gitarrenstunden zu nehmen und als eine Art Alternativ-Hippie in den Tag hinein zu leben, anstatt einzugreifen. Der Entschluss ist gefasst: Jesus wird ein zweites Mal auf die Erde geschickt, um die Menschheit daran zu erinnern, dass man auch zivilisiert miteinander umgehen kann, frei nach seinem pers?nlichen Motto "Seid lieb". 

Widerwillig wird Jesus so als hochbegnadeter und herzensguter, aber betont erfolgloser Alternative-Rock-Musiker in New York wiedergeboren. Zwar hat er bereits eine kleine Clique aus den untersten Niederungen der Gesellschaft um sich versammelt - sprich seine J?nger - und auch Kris, sein Bassist, und Morgan, sein Schlagzeuger, w?rden f?r ihn durchs Feuer gehen. Dennoch muss eine effektive M?glichkeit f?r "JC" her, um noch mehr Menschen zu erreichen und sie zu ?berzeugen, dass ein wenig Freundlichkeit niemanden umbringt. Da f?llt ihm ein riesiges Plakat ins Auge, auf dem um Kandidaten f?r die erfolgreiche Castingshow "American Pop Star" geworben wird. Und es kommt, was kommen muss: Trotz aller Warnungen seitens seiner "J?nger" und seiner starken Abneigung gegen?ber modernem Kommerz-Pop meldet "JC" sich an, und setzt so eine geradezu unglaubliche Verkettung sehr ungl?cklicher Umst?nde in Gang ... 

Der schottische Autor John Niven, der hier mit Genuss das Land der unbegrenzten M?glichkeiten aufs Korn nimmt, wird vielen haupts?chlich f?r seinen kontroversen Schreibstil ein Begriff sein. Und so verwundert es kaum, dass dem Leser hier ein heiliges Vater-Sohn-Duo begegnet, dessen kraftausdruckgeschw?ngertes Vokabular jeder Ordensschwester die Schamesr?te ins Gesicht treiben wird und das liebend gern diversen "Erholungsdrogen" zuspricht. Dennoch erweisen sich die beiden im Grunde als herzensgut und ihren sterblichen Untertanen mit allen Kr?ften zugetan, so dass man sie auch als ?berzeugter Atheist schlicht gern haben muss. So entpuppt sich "Gott bewahre" im Grunde als durchaus glaubensbejahender Roman, der irrgeleiteten religi?sen Fanatismus als gewichtigen Grund f?r die Probleme unserer modernen Welt kritisiert.

Wer nun glaubt, dass John Niven ein Buch abgeliefert hat, mit dessen rauer Schale man zwar seine Gro?mutter erschrecken k?nnte, aber dessen Inhalt sich als vergleichsweise kreuzbrav erweist, irrt jedoch gewaltig. Was als eine Parodie zahlreicher christlicher Ideen beginnt und daraufhin spitzb?bisch das Wegwerf-Musikbusiness unserer Tage auf die Schippe nimmt, verdeutlicht sp?testens im letzten Drittel, dass der bekannte Popliterat keine leichte Comedy abliefern will. "Gott bewahre" versteht es hervorragend, dem Leser das Lachen im Halse stecken zu lassen und trotz all der Absurdit?t und Komik, die der Autor hier zelebriert, nachdenklich zu stimmen. 

Die Geschichte des etwas zu gutgl?ubigen himmlischen Alternative-Rockers beweist in ihrem Verlauf eindrucksvoll, dass Nivens Sozialkritik um einiges mehr Tiefgang besitzt, als viele Leser eingangs annehmen werden. Schade nur, dass der deutschen ?bersetzung der slanggeladenen Dialoge des Originals an manchen Stellen ein wenig der Fluss zu fehlen scheint. Ein ebenso respektlos-flippiges wie kluges Buch, das auch gestandene Atheisten ?berzeugen wird und ein absoluter Tipp f?r jeden Fan von Literatur, die den guten Geschmack gekonnt und mit Stil mit F??en tritt. 

Johannes Schaack
22.08.2011

 
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Das Buch:

John Niven: Gott bewahre. Aus dem Englischen von Stephan Giletsch und Jörn Ingwersen

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München: Heyne Verlag 2011
400 S., € 19,99
ISBN: 978-3-453-67597-1

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