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Lektion in Geschichte

Ein Mann trifft seine frühere Geliebte wieder: Nach mehr als 14 Jahren und statt im sozialistischen Rumänien leben beide nun im Berlin des vereinten Deutschland. Dieses Treffen geschieht nicht ganz zufällig – zumindest vonseiten des Mannes. Das zweite Wiedersehen findet kurze Zeit später im Leichenschauhaus statt: Erika ist tot. Aus dieser Grundstory entsteht eine dichte Handlung mit vielen Rückblenden. Es geht um Geld, um Verrat, um politische Ideale. Zwei frühere Liebhaber der toten Erika kommen zu Wort, und so unterschiedlich diese Männer sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sie wissen, dass Erika etwas Besonderes war. In kurzen prägnanten Sätzen erzählt Dinu/Dino vom Rumänien der 70er- und 80er-Jahre, pragmatisch und mit Abstand, fast emotionslos. Dabei brodelt es in seiner Seele, wenn er an die Vergangenheit denkt. Dino wäre diese seine Vergangenheit gern los, aber sie holt ihn immer wieder ein. Die Gespenster von früher sind allgegenwärtig, und dennoch gilt das Motto des Dissidenten Richartz: "Das verpasste Leben soll das wirkliche Leben nicht verhindern." Die meisten der handelnden Personen hat im früheren Leben etwas miteinander verbunden. Mehr oder weniger zufällig treffen sie in Deutschland erneut aufeinander. Sie kennen Stärken und Schwächen des anderen, können dieses Wissen ausspielen. Distanziert von dieser gemeinsamen rumänischen Vergangenheit scheinen nur Erikas deutscher Ehemann, Dinos Sohn. Aber sind sie wirklich so distanziert, ohne Wissen, ohne Ahnung?

Das Buch bietet nicht immer die political correctness, die Deutsche im Umgang mit Ausländern – oder wer immer für nicht-deutsch gehalten wird – vorgeben. Das Buch provoziert: Ist Dino wirklich ohne Moral? Es gibt eine Lektion in jüngerer und auch naher Geschichte in Zeiten, in denen die einzelnen Länder Europas zusammenrücken und in denen doch europäische Länder entfernter sind als beispielsweise der amerikanische Kontinent. Keine leichte Kost, die dieses schmale Bändchen bietet, aber vielleicht ein Schritt hin zu mehr Verständnis, ein Weg zum Verstehen-Wollen und Verstehen-Können.

ker
01.05.2002

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