Romane

Georges Simenon und Diogenes bitten zur nächsten Runde

Fans von Georges Simenon k?nnen aufatmen, der Diogenes Verlag hat seine Produktion zu Ehren des belgischen Schriftstellers noch nicht eingestellt! In den vergangenen Jahren hatte insbesondere die Neuauflage aller Maigret-Romane Simenons dessen Leserschaft in Atem gehalten: Die Z?rcher Verleger der schlichten wei?en und unverwechselbaren B?cher haben bis in den letztj?hrigen Herbst hinein ?ber anderthalb Jahre hinweg alle 75 Maigret-Romane neu ver?ffentlicht, wobei die Frequenz von vier Werken pro Monat dem Leser sowohl Grundschnelligkeit als auch Stehverm?gen abverlangt hatte. Dazu waren noch einige Folgen als H?rb?cher vertont und einige weitere erg?nzende Werke zur Abrundung des Lebenswerks Simenons publiziert worden. Was allerdings noch gefehlt hatte, waren die sogenannten Non-Maigret-Romane Simenons. 

Circa 400 Werke entstammen der Feder des geb?rtigen Belgiers, der einen erheblichen Teil seines Lebens in Paris verbracht hatte, was erkl?rt, dass die meisten seiner Romane auch dort angesiedelt sind. Aus diesem breiten Spektrum hat Diogenes eine Selektion von 50 Romanen getroffen, die ab Oktober dieses Jahres ?ber die n?chsten zwei Jahre hinweg neu ver?ffentlicht werden, wobei eine - verglichen mit den Maigret-Romanen - gem??igte Frequenz von zwei B?chern pro Monat festgelegt wurde. Die Tatsache, dass man Simenons literarisches Lebenswerk in Maigret- und Non-Maigret-Romane einteilt, macht die hohe Bedeutung seiner Werke um den eigenwilligen Pariser Kommissar Jules Maigret deutlich. Dennoch sind die Non-Maigret-Romane auf ihre Art und Weise nicht minder ansprechend, da Simenon in ihnen eine breitere Gestaltungsfreiheit ausleben konnte, die den Leser nicht nur auf den Quai des Orf?vres und die Gedankenwelt Maigrets einschr?nkt. 

Als erster Band in dieser Reihe der Non-Maigret-Romane ist dieser Tage mit "Die Verlobung des Monsieur Hire" gleich einer der bekannteren Romane Simenons erschienen. Einer breiteren ?ffentlichkeit ist dieses Werk vor allem durch die erfolgreiche Verfilmung aus dem Jahre 1981 mit Michel Blanc in der Hauptrolle pr?sent. Monsieur Hire ist ein kleiner, dicklicher, unansehnlicher, ja quallenartiger Mann, der alleine lebt, einer etwas dubiosen Gesch?ftsidee nachgeht und von seiner Pension aus das Dienstm?dchen Alice von gegen?ber bei ihrer allabendlichen Toilette beobachtet. Kurzum: Monsieur Hire geh?rt zu denjenigen Menschen, die aufgrund ihrer Erscheinung und ihres Auftretens garantiert keine Sympathien bei anderen erringen. So verwundert es auch nicht, dass Monsieur Hire nach einem Mord an einem M?dchen in der Nachbarschaft in den Fokus der Ermittlungen ger?t, insbesondere durch die belastenden Aussagen der Concierge aus seiner Pension. 

Die Inspektoren verfolgen von nun an Monsieur Hire auf Schritt und Tritt. Er alleine wei? allerdings, wer der tats?chliche M?rder des M?dchens ist: Emile, der Lebensgef?hrte von Alice. Monsieur Hire und Alice kommen sich im Verlauf der Geschichte zwar n?her, doch h?lt die Wirklichkeit nicht Schritt mit der Gedankenwelt Hires. Er fantasiert sich eine Traumvorstellung zurecht, die ihn mit Alice in die Schweiz fliehen sieht. Monsieur Hire wird im Verlauf der Geschichte immer mehr zur traurigen, weil unschuldigen Gestalt, was beim Leser den Zorn auf die Gesellschaft sch?rt, die ihn ohne Beweise verurteilt und letztlich sogar zu dessen Exekution bereit ist. 

Das vorliegende Buch ist grundverschieden zu den Maigret-Romane, auch wenn mit dem Pariser Vorort Villejuif Ort und Zeit der Handlung sicherlich auch f?r einen Plot mit Maigret geeignet w?ren. Die Erz?hlperspektive Simenons und die Eingeschr?nktheit der Geschichte auf die Pension und den immer gleichen Arbeitsweg Monsieur Hires machen "Die Verlobung des Monsieur Hire" beinahe zu einem Kammerspiel. Auch rein ?u?erlich konzentriert sich Simenon auf das Wesentliche und gibt sich streng puristisch: Die elf Kapitel des Buches kennen keine ?berschriften und bis auf Hire, Alice und Emile werden keine der handelnden Personen mit einem Namen versehen. Der Kommissar und seine Inspektoren bleiben ebenso inkognito wie die Concierge der Pension. Simenon vermittelt gekonnt eine triste und traurige Atmosph?re, die den Leser nachdenklich zur?ckl?sst und ihn den Kopf sch?tteln l?sst ob der geschilderten und alles andere als realit?tsfernen Verhaltensweisen der gemeinen Gesellschaft. 

"Die Verlobung des Monsieur Hire" macht Appetit auf die weiteren 49 Folgen im Rahmen der Non-Maigret-Reihe. Mit neun Euro haben die stilvoll eingebundenen B?cher eine faire Bepreisung durch Diogenes erfahren. Die Ver?ffentlichungsreihenfolge richtet sich nach dem Erstellungszeitpunkt des Romans; das vorliegende Buch war von Simenon im Herbst 1932 geschrieben worden, wohl in seinem ?blichen zeitlichen Rahmen von einigen wenigen Tagen. Schlie?lich l?sst die hohe Produktionst?tigkeit Simenons keine mehrj?hrige "Projektt?tigkeit" zu, will man handgestoppte 400 Romane in einem einzigen Menschenleben erschaffen. Der Leser bedankt sich gerne, bei Simenon und Diogenes: Merci villmal! 

Christoph Mahnel 
01.11.2010

 
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Das Buch:

Georges Simenon: Die Verlobung des Monsieur Hire. Aus dem Französischen von Linde Birk

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Zürich: Diogenes Verlag 2010
172 S., € 9,00
ISBN: 978-3-257-24101-3

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