Romane

Am Anfang war die Aufbruchstimmung

Als sie zu Beginn der 80er Jahre ihr Wirtschaftsstudium aufnehmen, bricht f?r Heinz, Hanna, Jockel und Ute ein neuer Lebensabschnitt an. Die vier Erstsemester verstehen sich auf Anhieb so gut, dass sie beschlie?en, gemeinsam eine WG zu gr?nden. So unterschiedlich die jungen Leute auch sind, so haben sie doch einige Dinge gemeinsam: Sie sympathisieren mit der alternativen ?ko-Bewegung, wollen nicht so sein wie alle anderen - besonders nicht wie die Spie?er - und genie?en das Partyleben.

Hanna und Heinz werden schnell ein Paar. Ute, die sich mit dem Umzug in die gro?e Stadt ihr Coming-Out als Lesbe traut, lernt in der Szene Gleichgesinnte kennen und genie?t ihre neu gewonnene Freiheit. Wie Jockel, der haupts?chlich mit zahlreichen Frauen und immer neuen Aff?ren zu tun hat, vernachl?ssigt Ute die Vorlesungen und wechselt sp?ter mit Jockel zum Lehramtsstudium. Auch Heinz kann sich mit der begonnenen Akademikerlaufbahn nicht so recht anfreunden und geht stattdessen in seiner Arbeit als Redakteur f?r die Lokalzeitung auf. Im Gegensatz zur opportunen Hanna, die ebenfalls f?r die Zeitung schreibt, ist ihm das geforderte konservative Verhalten jedoch unm?glich und so muss er zusehen, wie seine Freundin alleine die Karriereleiter hochklettert. Da er mit seinem Engagement f?r die Benachteiligten der Gesellschaft und mit der Aufdeckung von Missst?nden bei den Chefredakteuren immer st?rker auf Granit st??t, h?ngt er seine Mitarbeit frustriert an den Nagel.

In seinem Weltschmerz fr?nt Heinz nun dem Alkohol und verl?sst nicht mehr das Haus. Hanna f?hlt sich mitschuldig und k?mmert sich um den antriebslosen Freund. Die beiden anderen Mitbewohner lassen sich jedoch aufgrund der schlechten Stimmung immer seltener zu Hause blicken. Deswegen bleibt ihnen auch lange Zeit verborgen, was sich daheim abspielt: Heinz wird immer unausstehlicher, ist voll damit besch?ftigt, seinen Alkoholpegel zu halten und Hanna durch Schl?ge und Missbrauch zu kontrollieren. Erst als Jockel und Ute "zu Besuch" sind, um die WG aufzul?sen, kommt die katastrophale Situation ans Licht. W?hrend Hanna weiter der Arbeit bei der Zeitung und ihrem Wirtschaftsstudium nachgeht, beginnt f?r Heinz der Entzug mit anschlie?ender Therapie, da er widerwillig erkennen muss, dass er Alkoholiker ist.

W?hrend der kommenden Jahre bleiben Heinz, Hanna, Jockel und Ute mehr oder weniger in Kontakt. Sie schlie?en ihr Studium ab, finden Jobs, Familienplanung wird zum Thema und, w?hrend die Zeit vergeht, wechseln sie Jobs und Partner - bis Jockel und Heinz schlie?lich ihren f?nfzigsten Geburtstag feiern und alle vier als gefestigte Pers?nlichkeiten aufeinander treffen. So begleitet der Leser die ehemaligen Studenten beinahe drei?ig Jahre lang. Neben der Entwicklung der Charaktere wird auch der Wandel der gesellschaftlichen Themen der jeweiligen Zeit thematisiert. Angefangen beim NATO-Doppelbeschluss ?ber die Gleichberechtigung der Frauen und der Ehe zwischen homosexuellen Paaren bis hin zum Aufstieg der Neonazis in Ostdeutschland und schlie?lich zur Debatte ?ber das Rauchverbot in Gastst?tten.

Reiner K?rvers "Dem Zeitgeist entgegen" ist ein kleiner Spaziergang durch die j?ngste deutsche Geschichte und zeigt auf, was die Bev?lkerung in Deutschland bewegt. Auf dieser Reise durch die letzten drei Jahrzehnte versteht es K?rver den Leser zu fesseln. Dazu tr?gt unter anderem die lange, aber nicht langatmige Zeitspanne bei, in der der Rezipient die Protagonisten begleitet. Der Autor vermittelt dadurch das Gef?hl, mit den Figuren durch dick und d?nn zu gehen. Die Entwicklungen der Personen bleiben dabei stimmig und glaubw?rdig. Aber auch beispielsweise die Idee, Heinz? Leben im Alkoholiker-Delirium in Form eines Bewusstseinsstroms zu beschreiben, tr?gt zu der mitrei?enden Lekt?re bei. Ein weiteres Plus sind mit Sicherheit die Dialoge, in denen die politischen Themen leicht verst?ndlich diskutiert werden.

Jennifer Mettenborg
27.09.2010

 
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Das Buch:

Reiner Körver: Dem Zeitgeist entgegen

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Münster: Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat 2009
362 S., € 19,50
ISBN: 978-3-86582-894-1

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