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Ein Familiendrama ohnegleichen

Der Schweizer Autor Lukas Hartmann gehört zweifellos zu einem der bedeutendsten Vertreter seiner Zunft, der seine Leser vor allem durch seinen Facettenreichtum immer wieder überrascht. Egal ob humorvolles Kinderbuch, tragische Familiengeschichte oder kurzweilige Hörspiele - Hartmann steht stets für hohe Qualität, die große Unterhaltung garantiert. So verhält es sich auch mit seinem neuen Roman "Finsteres Glück", der eindrucksvoll die Sprachkunst vorführt, die der Autor aufs Meisterlichste beherrscht.

Eine fünfköpfige Familie fährt ins Elsass, um dort die totale Sonnenfinsternis mit eigenen Augen zu sehen. Einzig Yves, der jüngste Sohn, kehrt lebend von diesem Ausflug zurück. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn es wurde weder Spuren von Alkohol im Blut des Familienvaters gefunden noch deutet darauf hin, dass ein anderer Wagen in diesem grauenvollen Unfall verwickelt war. Hilfe erhofft man sich von Eliane Hess, Psychologin und alleinerziehende Mutter, die mitten in der Nacht ins Krankenhaus gerufen wird. Vielleicht sagt ihr der achtjährige Junge, was passiert ist. Und tatsächlich: Er erzählt und erzählt in nervöser Hast - nur das Wesentliche lässt er aus. Und so muss Eliane ganz von vorne anfangen und deckt dabei ein großes Familiendrama auf, dem vier Menschen zum Opfer gefallen sind.

Stück für Stück setzt Elaine das Bild einer zerrütteten Familie zusammen, die mit offenen Augen auf die Katastrophe zusteuerte. Familienvater Rico hatte es in seiner Kindheit nicht einfach, denn seine Mutter musste den Sohn ganz ohne Vater erziehen. Keine leichte Aufgabe, die für den Jungen mit allerlei Entbehrungen verbunden war. Umso größer seine Freude, als eines Tages Madlen, ein Mädchen aus seiner Parallelklasse, Interesse an ihm bekundet. Blind vor Liebe und männlichen Stolz erkennt Rico nicht, dass seine Herzensdame in ihm lediglich ein Spielzeug sieht, das sie nach Gutdünken benutzen kann - so glaubt Ricos Mutter. Doch es ist mehr als nur eine flüchtige Sommeraffäre. Ihrer Liebe und Leidenschaft entspringen drei Kinder, die täglich Zeuge der Streitigkeiten zwischen ihn sind. Die Situation eskaliert endgültig, als Rico seine Eifersucht partout nicht in den Griff bekommt. Madlen sieht nur noch einen Ausweg: Sie will ihre einstige Liebe für immer verlassen und woanders ein neues Leben beginnen. Doch bevor es dazu kommt, geschieht jener Unfall, der alles verändert.

Nachdem Elaine die Tragödie um Yves und seine Familie erfahren hat, fällt es ihr schwerer denn je, die objektive Distanz zu ihrem Patienten zu wahren. Als zwischen den Verwandten ein erbittertes Tauziehen um den Jungen entbrennt, sieht Elaine nur noch einen Ausweg: Sie gibt dem Jungen ein neues Zuhause, in dem er nicht vor die Wahl gestellt wird, sich für den einen oder den anderen zu entscheiden. Doch hat diese unorthodoxe Entscheidung unerwartete Konsequenzen, die Elaines Leben und das ihrer beiden Töchter gehörig aus der Bahn werfen.

Schreiben ist eine Kunst, die Worte zu Bildern werden lässt und dem Leser Gefühle zu übermitteln vermag, von denen man im eigenen tiefsten Inneren bislang nichts ahnte. Lukas Hartmann ist ein wahrer Meister darin, dem Leser berührende Geschichten zu erzählen, die man so schnell nicht mehr vergisst. Dazu zählt auch sein Roman "Finsteres Glück", dessen Porträt einer verlorenen Familie beim Rezipient ein Gefühl der Leere und Melancholie hinterlässt, die man selbst nach dem Schließen dieses Buches nicht abschütteln kann. Und doch bleibt im Herzen ein kleiner Schimmer der Hoffnung zurück. Damit beweist Hartmann abermals sein Können, wenige Worte zu einem großen Roman zusammenzufügen und dabei den Leser aufs Tiefste zu berühren, ohne dabei ins Rührselige abzugleiten. Kein Wunder, dass Lukas Hartmann vor wenigen Tagen den Großen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern verliehen bekam. "Finsteres Glück" ist ein weiteres Glanzstück aus Hartmanns Feder, von dem man sicherlich noch hören wird.

Susann Fleischer
06.09.2010

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