Romane

Ein bitterböses Gesellschafts- und Sittenpanorama

Hierzulande dürfte der Name Stig Dagerman nicht jedermann ein Begriff sein und doch gilt er als Schwedens Exportschlager, der schon vor Ingmar Bergman dem Schwedenbild jegliche Romantik raubte und neben Krimigrößen wie Åke Edwardson, Henning Mankell und Liza Marklund seinen Platz in der Literatur gefunden hat - auch wenn seine Werke von weitaus verstörender, aufdeckender literarischer Wucht sind, als sie ein Autor der Gegenwart jemals erreichen könnte. Ein Bild von Dagermans Sprachkraft, die Hass, Habsucht, Neid und sexuelle Begierden zu einem grandiosen Werk unserer Zeit verflicht, kann man sich in "Schwedische Hochzeitsnacht" machen. Ein Roman, der gegen den Strom schwimmt und selbst 60 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung die Leser von seiner Einmaligkeit zu überzeugen weiß.

Dagerman erzählt von der Hochzeit des Schlachtermeisters Westlund mit Hildur Palm. Was für andere der glücklichste Tag in ihrem Leben ist, erweist sich für die schwangere Hildur als unabdingbare Pflicht. Schließlich braucht sie für ihr ungeborenes Kind einen Vater, der sich in Notzeiten darum kümmert und die Familie finanziell absichert. In Wirklichkeit liebt Hildur den mittellosen Martin, mit dem eine Zukunft allerdings verwehrt bleibt. Dementsprechend freudlos beschreiten Westlund und Hildur ihren großen Tag, der für die Dorfbewohner ein Anlass für moralische Ausschweifungen ist. Statt Harmonie und Liebe herrschen Hass und Habsucht, Neid und sexuelle Gier vor und kehren das Böse im Menschen nach außen.

Schließlich kommt es auf der Hochzeit zum Eklat: Martin versucht ein letztes Mal, Hildur für sich zu gewinnen, und muss erkennen, dass seine große Liebe nichts mehr von ihm wissen will. Aus Enttäuschung, Wut und Trauer über diese Ablehnung seiner Gefühle, erhängt sich Martin in der Scheune. Für die Einwohner des schwedischen Dörflein Fuxe die Gelegenheit ihr Leben neu zu überdenken, aber statt Reue über moralische Sünden und Buße kehren sie am nächsten Morgen in ihr altes Leben zurück. Auch Hildur begreift, dass sie das Schicksal annehmen muss und in ihrem Handeln beschränkt ist.

Vier Romane entstanden während Stig Dagermans kreativer Phase. "Schwedische Hochzeitsnacht" mag wohl das Bekannteste von ihnen sein und zugleich auch das Verstörendste. Kaum ein anderes Werk vermag es mit diesem Roman aufzunehmen, der den Schleier von einem romantischen Bild Schwedens wegzieht und stattdessen vor den Augen des Lesers ein ungeschöntes Bild über moralische Begierden enthüllt. Es hat beinahe den Eindruck, dass man eine der großen Isländersagas vor sich liegen hat, die nichts verschönern wollen, sondern einer Charakterstudie gleichkommen. Dies liegt nicht zuletzt an der nordisch-kühlen Atmosphäre, die Dagerman mit seinen Worten perfekt einfängt und beim Leser für Gänsehaut sorgt.

Welch besonderes Werk man mit Stig Dagermans "Schwedische Hochzeitsnacht" zu sich nach Hause holt, weiß man spätestens ab dem Moment, wenn man das Buch in die Hand nimmt. Der Einband ist in einem kräftigen Lila gehalten und beim Darüberstreichen fühlt er sich an wie ein zarter Stoff aus reiner Spitze - wie ein reich besticktes Hochzeitskleid, das seine Trägerin noch strahlender erscheinen lässt. Als Band 304 in der bibliophilen Buchreihe "Die Andere Bibliothek" erschienen, ist das Buch ein echtes Schmuckstück, das im heimischen Bücherregal nicht fehlen sollte. "Schwedische Hochzeitsnacht" erweist sich als ein großartiger Roman der Neuzeit, der Klassikerqualitäten besitzt und daher nicht nur bei Freunden von nordischer Literatur Anklang finden wird.

Susann Fleischer
31.05.2010

 
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Das Buch:

Stig Dagerman: Schwedische Hochzeitsnacht - 304. Band der ANDEREN BIBLIOTHEK. Aus dem Schwedischen von Herbert G. Hegedo

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Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2010
288 S., € 32,00
ISBN: 978-3-8218-6230-9

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