Romane

Keim der Selbstzerstörung

Nach dem Erfolg seines 1961 publizierten Debütromans "Zeiten des Aufruhrs", 2008 verfilmt von Sam Mendes mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet, geriet der US-amerikanische Autor Richard Yates (1926-1992) zu Lebzeiten bald in Vergessenheit. Sein dritter Roman "Ruhestörung" spielt Anfang der 60er Jahre und war dadurch in seinem Veröffentlichungsjahr 1975 wenig zeitgemäß. Heutzutage sieht das jedoch ganz anders aus. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der kleingewachsene Frauenheld John Wilder, der ein Faible für Hollywood hat und von Alan Ladd nicht nur die Haltung und die Frisur übernimmt, sondern auch von ihm gelernt hat, "wie ein kleiner Mann eine Frau ansehen musste, ohne Zweifel an seinen fleischlichen Gelüsten aufkommen zu lassen". Passend dazu hat er mit seinem einzigen Freund Paul eine Wohnung gemietet, die von den beiden einzig für außereheliche Stelldicheins mit ständig wechselnden Frauen genutzt wird.

In die Geschichte steigt John, gerade von einer Geschäftsreise nach Chicago wieder in New York angekommen, vollkommen übermüdet und betrunken ein. Aus einer Bar ruft er bei seiner Ehefrau Janice an, um ihr mitzuteilen, dass er heute wohl nicht nach Hause kommen könne, da er in dem Fall sie und seinen zehnjährigen Sohn Tommy erschießen müsse. Bevor er dazu Gelegenheit bekommt, landet er in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des Bellevue Hospitals, genauer: auf der Station für gewalttätige Männer. Dank eines Feiertages und der damit verbundenen Abwesenheit der Ärzte verbringt er hier die nächsten fünf Tage in abstruser Gesellschaft. Bei seiner Entlassung versichert er, mit dem Trinken aufzuhören und sich um eine Psychotherapie zu bemühen.

Die darauf folgenden Treffen der Anonymen Alkoholiker sind John von nun an eine willkommene Ausrede, um nahezu keinen Abend mehr mit seiner Familie zu verbringen. Die Versammlungen selbst besucht er bald kaum noch. Stattdessen verbringt er seine Zeit in dunklen Bars mit Bourbon und Whiskey. Bis er die wesentlich jüngere Pamela kennen lernt, die seine Vorliebe für Alkohol und Filme teilt. Nebenbei entwickelt auch die Psychotherapie eine besondere Eigendynamik. Erste Fortschritte zeigen sich für John, als er diverse Tabletten verschrieben bekommt, die die Wirkung des Alkohols verdoppeln. Schließlich versucht er mit Pamela, einem halbfertigen Film und ohne Plan sein Glück in Hollywood, wo er weiter der Selbstzerstörung frönt, bis sich der nächste Zusammenbruch ankündigt.

Richard Yates´ Roman "Ruhestörung" ist eine unterhaltsame Erzählung zur Zeit der Kubakrise und der Ermordung Kennedys, in der die Gesellschaft noch zusammenhielt und Frauenemanzipation, Woodstock und der Krieg in Vietnam erst bevorstanden. Eine Zeit, in der sogar in Supermärkten noch geraucht wurde und in der Menschen kein Problem mit Alkohol hatten, wenn sie zuviel davon tranken, sondern wenn sie ihn nicht vertrugen. Doch eigentlich kümmert sich Yates wenig um dieses Drumherum und schreibt angenehm "kurzangebunden". Das Ergebnis ist eine sarkastische Geschichte über einen Amerikaner aus der Mittelschicht mit einem einträglichen Job und beachtlicher Leseschwäche, der nicht mit dem zufrieden ist, was er hat, und nicht weiß, was er will, aber meint, einmal Großes erreichen zu müssen.

Jennifer Mettenborg
25.05.2010

 
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Das Buch:

Richard Yates: Ruhestörung. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube

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München: DVA 2010
320 S., € 19,95
ISBN: 978-3-421-04393-1

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