Romane

Die dritte Möglichkeit

"Wer nicht aufpaßt, der verpaßt was. Wer etwas verpaßt, der bleibt zurück. Wer zurückbleibt, der macht alles falsch. Richtig oder falsch. Darauf kam es an im Leben". Wie ein roter Faden durchzieht diese Schulweisheit das Heranwachsen des Protagonisten Joachim Arth, der im vorletzten Kriegsjahr zur Welt kommt. An einem Montag, einem Tag, der ihm gewisse Eigenschaften schicksalhaft aufprägt, die es zu nutzen gilt.

Die Entdeckungsreise in die Welt lehrt den Jungen recht früh die Rolle, die er innehat - nämlich die des ewigen Dritten. Wie in einem Dreiecksverhältnis konstruiert sich sein Umfeld, hebt ihn heraus, als jemanden, der meist dazwischensteht, zwischen Personen und Dingen, den eigenen Vorstellungen und Erwartungen anderer, seinen Träumen und der Realität, Recht und Unrecht. Zwischen den Hälften, in die seine eigene Welt immer häufiger zerfällt, sucht er weiter nach seinem Weg. Dabei ist seine Entwicklung nicht nur geprägt von Beziehungen zu seiner Umgebung, sondern auch von jener Zeit, in der er heranwächst.

"Montagskind" macht sie erlebbar, die oftmals verwirrenden Gefühle eines jungen Menschen auf der Suche nach sich selbst. Joachim Arth ist clever. Mal mehr, mal weniger ehrgeizig versucht er die richtige Entscheidung zu treffen. Zunächst indem er sich an die eigenen zehn Gebote hält, "immer wohlgefällig sein, mitspielen, nicht auffallen", um geliebt zu werden und vorwärts zu kommen - immer beharrlich auf der Suche nach dem Wesentlichen im Leben. Später verlässt er sich darauf, was er gelernt hat - und beobachtet.

Der Leser wächst mit; ist eingeladen gemeinsam die verschiedenen Lebensstationen zu erleben: Freundschaften, Enttäuschungen, die Faszination für Kunst, Klavier, Theater, Oper. Arth komponiert nicht nur, er schreibt und baut auf die sogenannte dritte aller Möglichkeiten, von denen man nie genug haben kann. Denn deren Realisierung hängt in der vorherrschenden Staatsideologie nicht nur vom eigenen Verhalten ab.

Gelungen beschreibt Bernd Schremmer die kindliche Wahrnehmung der Welt, das Formen einer eigenen Identität, einer Persönlichkeit mit all ihren Facetten. Die Frage nach dem richtigen Weg, der richtigen Entscheidung, stellt sich vermutlich jeder Mensch und schwingt als unsichtbare dritte Sache beim Lesen des Buches immer irgendwie mit. Ebenso hilft die Erzählung zu verstehen, in welcher Ausprägung, ein Staatssystem, eine Gesellschaftsordnung, einen ganz klaren Rahmen absteckt, in dem gewisse Möglichkeiten von vornherein ausgeschlossen bleiben. Die unmissverständliche und detailreiche Sprache, die das vollkommene Eintauchen in die Figur und Vorstellung der Lebenswelt erst ermöglicht, erinnert in ihrer Präzision entfernt an die Figur des David Copperfield. Arths Geschichte, teils tragisch, ernst, immer wieder komisch und heiter, bleibt stets voller Spannung, fesselt, weil man ihr nahe ist, weil sie zu Herzen geht, weil man sich selbst ein wenig darin wiederfindet. Dankbar für diese eindrucksvolle Erzählung ist man gerne der Dritte im Bunde, derjenige, der beobachtet, mitwächst und versteht.

Anja Saleschke
09.11.2009

 
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Das Buch:

Bernd Schremmer: Montagskind. Aus dem Leben eines Dreieckigen

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Jena, Plauen, Quedlinburg: Verlag Neue Literatur 2009
326 S., € 17,90
ISBN: 978-3-938157-98-5

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