Romane

Vision aller Visionen?

Nicht Schicksal spielen! Nichts dem Zufall überlassen! Nicht würfeln! Es könnte passieren, Sie verpassen Luke Rhineharts Roman "Der Würfler". Das kann nicht im Sinne des Autors sein, der aus der Welt eine Welt der Würfler machen wollte. Und scheiterte wie viele vor ihm, die eine glücklichere Welt wollten. Auch aus der Vision aller Visionen, der Würflergesellschaft, wurde nichts. Das macht es leichter, unbefangen den listigen, gewitzten, witzigen Roman zu lesen.

Rhinehart ist das Pseudonym eines Befangenen. Eines Mannes, der Arzt ist und Einblicke in die tiefsten Tiefen des Unterbewusstseins hat. Rhinehart ist Psychoanalytiker. Und das ist für den Psychoanalytiker immer weniger und weniger ein wirkliches Vergnügen. Der Arzt verzweifelt nicht. Er sinnt darüber nach, wie er den wachsenden Verdruss überwinden kann. Luke Rhinehart will sich nicht an der Psychoanalyse rächen. Er will sagen, was lächerlich ist in der Gläubigkeit an die Allmacht der Psychoanalyse, die Jahrzehnte in der US-amerikanischen Gesellschaft herrschte und sie beherrschte.

Rhineharts Roman, der erstmals 1971 erschien, war für die einen der eines Nestbeschmutzers und für die anderen der eines Messias. Das hieß zu verkennen, was das Buch zuerst ist: Der Roman eines Erzählers, der die ungewöhnliche Geschichte des Luke Rhinehart erzählt, der sich dem gewöhnlichen Leben und dem gewöhnlichen Alltag zu entziehen versucht. Kurzum: Der Erzähler will die tägliche Langeweile überwinden, was für ihn bedeutet, sich selbst zu therapieren. Wozu die praktizierte Psychoanalyse nicht taugt. Der Wissenschaftler wird zum Würfler. Er praktiziert die Würfeltherapie, die Menschen in die Lage versetzt, fern aller Theorien, würfelnd Schicksal zu spielen. Zufall bestimmt Zukunft.

Ein Mensch des unberechenbaren Zufalls zu sein heißt, eine Persönlichkeit zu sein, die sich permanent ändert. Würfelnd sich selbst zu ändern - bedeutet das nicht auch, die Welt zu ändern? Dem lebenserfahrenen Leser werden schnell Zweifel kommen. Was ihn nicht hindern wird, zu lesen und zu lesen, welche meist frivolen Geschichten sich Rhinehart ausgedacht hat, um sein Spiel mit den Würfeln nicht nur ein Gedankenspiel sein zu lassen. Was geschieht, geschieht, wie seit Jahrtausenden, meist nicht zum Wohl des Einzelnen und erst recht nicht für die Menschengemeinschaft. Wie auch anders, wenn die neue Weltlebensformel lautet: "Nicht mein Wille, o Würfel, sondern dein Wille geschehe!"

Auch die selbstgewollte Diktatur des Würfels ist nichts anderes als eine Diktatur. Und wann sind die Menschen nicht an Diktaturen gescheitert? Von Diktatur zu Diktatur! Niemand muss die Idee des Würflers zu seiner praktizierbaren Idee machen. So verlockend sie dann und wann auch scheint. So suggestiv sie von Luke Rhinehart auch geschildert wird. So dass man, von Kapitel zu Kapitel, gleichermaßen angezogen wie abgestoßen ist.

Die Leser müssen sich immer bewusst sein, was sie da lesen, ist eine höchst originelle Persiflage auf die Psychoanalyse. Geschrieben von einem, der das Metier, seine Machenschaften und ausgeübte Macht genau kennt. Die Kenntnis hat ihn dazu gebracht, eine Kunstgeschichte zu konstruieren. Die ist ein Spaß, der sehr ernst zu nehmen ist. Die ist Unterhaltung, die nachdenklich stimmt. Luke Rhinehart opfert nicht die Psychoanalyse, aber er wird auch nicht zu ihrem Opfer. Das ist die höhere Moral, wenn denn der Roman "Der Würfler" ein moralischer Roman sein will. Will er das? Muss er das? Nicht würfeln! "Der Würfler" ist Literatur, Literatur, Literatur!

Bernd Heimberger
09.11.2009

 
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Das Buch:

Luke Rhinehart: Der Würfler. Aus dem Amerikanischen Franz Schrapfeneder

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Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2009
431 S., € 14,90
ISBN: 978-3-89812-632-8

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