Romane

Entsetzen ohne Ende

Das ist nichts für Leute, die schnell mal was weglassen wollen. Nichts für Leute, die vom Buch ein bisschen Unterhaltung erwarten. Was nicht bedeutet, dass der Roman "Kornwolf" kein unterhaltender Roman ist. Und was für einer! Das Buch drückt auf die Brust und lässt Leser schwerer atmen.

Der US-Amerikaner Tristan Egolf, 1971 in Spanien geboren, hat mit "Kornwolf" ein Werk hinterlassen, das keinen Gleichmut zulässt und daher nicht gleichgültig hingenommen werden kann. Er hat eine Geschichte der Gewalt geschrieben und über die Gewalt an sich. Der amerikanische Autor übte Gewalt gegenüber sich aus. 34-jährig hat er sich erschossen. Schade, zu schade! Der Schriftsteller war einer der Erstaunlichsten seiner Generation, der mit dem Roman "Monument für John Kaltenbrunner" (2000) die Welt überraschte. Auch "Kornwolf" hat genügend Überraschendes, Verwirrendes, Irritierendes, also immer Dringliches, Dramatisches, das nur ein Mensch wiedergeben kann, der einen Sinn für die Dramatik des Seins hat. So einer war Tristan Egolf. Der Amerikaner, als Autor, ist ein unamerikanischer Autor. Er ist einer von europäischem Geiste. Er ist ein Gewissenhafter, er ist ein Grübler gewesen.

Mit "Kornwolf" hat sich Egolf in die Fama vom Werwolf vertieft, die in vielen Literaturen auftaucht. "Kornwolf" ist eine moderne Fassung der Geistererscheinung Werwolf. Eine amerikanische Fassung? Fein wär's, sich mit dieser Feststellung von der schrecklichen Story zu befreien. Die fortgesetzte Schilderung von Gewalttätigkeit, die schlichte Bürger einer amerikanischen Provinz, einer gegen den anderen, alle gegen einen ausüben, ist nicht die einer einzigen Lokalität. Wie sie ist, ist die Geschichte eine symbolische Geschichte der Gewalt an sich. Bedrängend und bedrohend. Tristan Eglof schürt das Entsetzen, das Gewalt auslöst. Mehr war von dem Schriftsteller wohl auch nicht beabsichtigt. Er ist ein Erzähler gewesen, der von der Gewalt erzählte, die er nicht zu analysieren hatte. Es bedeutet nicht, den Wert des Buches zu verringern, wenn gesagt wird, dass der Autor ohne Absicht, ohne Botschaft ist. Eglof ist kein Belehrer. Er war ein leidenschaftlicher Literat. Der legte sich keine Zügel an. "Kornwolf" ist zügellos geschrieben. Nach dem Tode des Erzählers veröffentlicht, bekommen die Leser die Undiszipliniertheit zu spüren. Sprachverliebt stürzte sich der Schriftsteller in manche Szenen und kam aus ihnen nicht mehr heraus.

Egolf schwelgte in Szenen und trieb seine Exkurse ins Extreme. Nicht gerade zum Vorteil einer zügigen, geradlinigen Darstellung der ohnehin schwierigen, verquickten Geschichte. So unkonventionell die Geschichte, so unkonventionell die Erzählweise. Das ist der Grund, weshalb der Roman nicht leicht zu haben ist. Auch nicht für die willigsten Leser. Das ungewöhnliche Buch verlangt das ungewöhnliche Verhalten der Leser. Mit Weile, nicht mit Eile ist gut durch den Roman zu kommen. Auch, weil es einen Übersetzer hat, der ein Literat ist, wie es Egolf war. Frank Heibert, dessen Roman "Kombizangen" derzeit im Handel ist, hat alle Bücher von Tristan Egolf übertragen. Mit dem feinsten Sinn für die Sprachfinessen des Amerikaners, der die in "Kornwolf" mittels amisch-"deitscher" Dialoge steigerte. Die Sprache ist für Egolf ein Kolorit an sich gewesen, das er nicht zum Kolorieren missbrauchte. Seine Prosa hat ihre Potenz in der Präzision. Die nicht verletzt zu haben, ist die eigentliche, hervorzuhebende Leistung des "deutschen Autors" von "Kornwolf". Frank Heibert so zu nennen, das hätte Tristan Egolf vermutlich gefallen. So wie jedem der Roman gefallen wird, der liest, um mit Staunen zu lesen, was Sprache möglich machen kann.

Bernd Heimberger
02.11.2009

 
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Das Buch:

Tristan Egolf: Kornwolf. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert

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Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2009
432 S., € 26,80
ISBN: 978-3-518-42075-1

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