Romane

Angewöhntes abgewöhnen

Der Jean Philippe Toussaint des Romans "Fernsehen" (1997) war noch nicht der Jean Philippe Toussaint, der heute seine Lesergemeinschaft in vielen Ländern hat. Dennoch war der 1957 Geborene bereits der, den die Leser so lieben. Toussaint hat ständig ein Lächeln auf den Lippen. Der Schriftsteller schreibt, was er schreibt, "mit einem Anflug von Ironie", wie er selbst sagt. "Fernsehen" ist von Anfang bis zum Schluss der ironische Roman eines Ironikers.

Konsequent ist der Roman nur in der Ironie. Der Ich-Erzähler, ein französischsprachiger Autor, kommt mit seinem geplanten Erzählwerk zu dem Maler Tizian nur schwer voran. Mit dem ersten Satz des Buches konstantiert er "Ich habe aufgehört fernzusehen". Ein militanter Nie-nicht-mehr-Fernseher ist er nicht. Der Mann, Stipendiat einer Stiftung in Berlin, ist nicht einmal ein emsiger Stadtgänger. Berlin und der Erzähler, das ist ein Kapitel für sich! Ein Kapitel weniger Szenen und noch weniger Handlungen. Ermutigende Momente sind ein Besuch der FKK-Badestelle am Halensee, der Flug über die Stadt in einem mickrigen Sportflugzeug. Mutig absolviert der Ermutigte eine Tour durch menschenleere, wüstenöde Ostberliner Stadtviertel. Scheußlicheres kann dem Erzähler in der Stadt nicht geschehen. Berlin, Ost, Mitte der Neunziger des Vorjahrunderts, ist der Albtraum aller Albträume. Nähmen die Leser den Autor ernst. Nähmen sie nicht wahr, dass der Ironiker zum sarkastischen Satiriker mutiert. Als der kennzeichnet er, indem er karikiert, was ohnehin Karikatur ist: die schemenhafte, seelenlose Stadt.

Toussaint hat die gemächlich-gemütliche Haltung eines Flaneurs. Er hat nicht den salbungsvollen schwärmerischen Stil eines Feuilletonisten, der Reiseliteratur verfasst, die nachkommenden Touristen Routen durch die Stadt offeriert. Das Berlin, das der Erzähler besucht und argwöhnisch beäugt, ist ein Berlin, das man sich im Angewöhnen sogleich abgewöhnen kann. Es ist ein Berlin, das er auf seine Art mag. Augenzwinkernd artikuliert er Anerkennung und Ablehnung. Das ist die Art eines gutwilligen Ironikers. Der verlässt seine adrette Berliner Behausung erstmals, als 50 Seiten des "Berlin"-Romans auf dem Papier sind. Also, besser, kein Berlin-Buch erwarten. Eher ein Buch aus Berlin, in dem der Autor auch versucht, dem "Blödsinn" beizukommen, wie ein deutscher Literaturkritiker das Fernsehen abkanzelte. Der Roman ist kein Schlussstrich unters Fernsehen, keine Abrechnung, keine Phlippika gegen den weltgrößten Menschheitsmanipulator. Also, besser, keinen Roman über das Fernsehen erwarten! Nie hoffen, endlich einmal alles zu erfahren, was Sie schon immer über das Fernsehen wissen wollten. Auch nicht, wenn der Autor frohlockend feststellt, dass das Fernsehen eine "laufende Oberflächlichkeit" ist. Was sagt, dass es nur Oberflächliches zur Sache zu sagen gibt?

Was tut der Ich-Erzähler tatsächlich! Außer dass er sich die Stadt in homöopathischen Dosierungen antut? Außer dass er die Mattscheibe matt sein lässt? Er tut so gut wie gar nichts. Er genießt die "Augenblicke friedvoller Einstimmung ins Schreiben". Sie genießt er genüsslich. Die Einstimmung ist die Einübung der Langsamkeit. Also ein imponierendes individuelles Lebensprogramm, das sich der laut-bewegten Stadt ebenso widersetzt wie der Schnelligkeit der Drei-Minuten-Berichte des Fernsehens. Über dem Roman "Fernsehen" schwebt der Geist des Henry James und webt die Seiten. Handgriff für Handgriff wird als Handgriff geschildert, nie der Handgriff, der etwas geschehen lässt. Gelebtes Leben, Leben, wie es gelebt werden könnte – "Das Leben eben" – wird dargestellt. Nicht mehr. Nicht weniger. Fassbar! Unfassbar! Wie das unbeschwerte Bemühen von Jean Philippe Toussaint, mit dem Buch "Fernsehen" die Leute das Lesen zu lehren.

Bernd Heimberger
15.12.2008

 
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Das Buch:

Jean-Philippe Toussaint: Fernsehen. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs

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München: Knaur Verlag 2008
474 S. € 7,95
ISBN: 978-3-426-63869-9

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