Romane

Schrei der Hyänen: ein moderner Kolonialroman im Spiegel der letzten 100 Jahre

Windhoek, Deutsch-Südwestafrika 1899: Die junge Arabella erreicht als angeworbene Braut die deutsche Kolonie Südwestafrika. Doch anstatt in dem erträumten romantisch exotischen Leben findet sie sich in einer rauen und allseits feindlichen Männerwelt wieder. Fortan lebt sie zusammen mit ihrem unbarmherzigen Ehemann Frank in der kargen Einöde der namibischen Wüste. Nach 5 Jahren Ehe und während des Höhepunkts der Herero-Aufstände wird Frank bei einem brutalen Racheakt der Aufständischen ermordet und Arabella von dem Anführer Assa Riarua verschleppt. Als sie nach zwei Monaten nach Windhoek zurückkehrt, stellt sie fest, dass sie ein Kind von dem Herero erwartet. Um sich zu schützen beschließt Arabella den deutschen Offizier Paul von Kavea, der sie aufrichtig liebt, zu heiraten. Da dieser Zweifel hat, ob das Kind von ihm ist, werden die kommenden Monate zu einer Zerreißprobe für das Paar. „Wenn das Kind weiß ist, ist es deins, ist es schwarz, wirfst du es in den Atlantik“, rät Pauls Vorgesetzter. Nele, ein weißhäutiges Mädchen, wird geboren. Damit beginnt eine stolze deutsche Familiengeschichte ….

Andrea Paluch und Robert Habeck gelingt mit dem Schrei der Hyänen ein bemerkenswerter Roman, der auf gerade 300 Seiten eine spannende Familiengeschichte erzählt, die sich über die letzten 100 Jahre erstreckt. Angelegt als Kolonialroman, setzt sich die Erzählung mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinander. Durch Parallelisierung verschiedener Motive und zeitliche Verschachtelungen entsteht jedoch eine neuartige Perspektive, die immer wieder zeigt, wie diese Geschichte auch heute noch nachwirkt. Steht doch im Mittelpunkt der Handlung das Leben der großbürgerlichen Hamburger Kaufmannsfamilie von Kavea, deren Wurzeln in der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika liegen. Die Erzählung umfasst drei Generationen, erzählt auf packende Weise aus dem Leben von vier Frauen und behandelt mittels eines überraschenden Einblicks in die unbegrenzten Möglichkeiten genetischer Vielfalt und Wechselfälle des Schicksals Fragen der Zugehörigkeit und der Ausgrenzung, rassischer und rassistischer Art. 

Die Geschichte beginnt 1889 in Deutsch-Südwestafrika und erzählt in einer ungewöhnlich offenen und direkten Weise von dem schwierigen Leben der ersten Farmer in der jungen deutschen Kolonie. Detailgetreu wird dargestellt, wie deutsche Auswanderer Hektar um Hektar das karge Land bestellen oder die Viehzucht aufbauen und dabei hin und wieder auch kläglich scheitern. Die Problematik des deutschen Kolonialismus wird in dem verhältnismäßig kurzen Roman nicht ignoriert, sondern knapp und treffend, ohne etwas zu beschönigen, veranschaulicht. Es wird erzählt, wie das in Deutschland für die Kolonie  angeworbene Dienstmädchen Arabella nach Windhoek reist, um dort einen ihr bis dahin  wildfremden Mann zu heiraten. Der Leser kann die Resignation der jungen Frau mitfühlen und empfindet den Gegensatz ihrer romantisch-exotischen Träume zur harten und oft brutalen Realität des südwestafrikanischen Alltags. Der Roman gewährt im Rahmen der historischen Ereignisse, während der Herero-Aufstände im Jahre 1904, Einblicke in das Leben der Menschen jener Zeit und stellt darüber hinaus in geradezu irritierender Weise die Grausamkeiten deutscher Kriegsführung heraus. Doch die Darstellung ist nicht einseitig, es wird auch von Racheakten und Überfällen der gepeinigten Herero, die sich gegen die deutschen Besatzer zur Wehr setzten, offen und schonungslos berichtet. Ferner erzählen die Autoren von der historisch belegten und menschenverachtenden  Entscheidungsschlacht der deutschen Schutztruppe am Waterberg, bei der fast das ganze Volk der Herero getötet wurde. Auch wenn die Geschehnisse im Roman Schrei der Hyänen Fiktion sind, bilden historisch belegte Ereignisse die Vorlage für den Roman im Rahmen der kolonialen Erzählebene.

Generationen übergreifende Geschichte

Die Generationen übergreifende Geschichte der Hamburger Kaufmannsfamilie von Kavea nimmt im kolonialen Afrika ihren Anfang, wechselt in das Hamburg der 1950er Jahre und erstreckt sich bis in die Gegenwart des Jahres 1990, als Südwestafrika unabhängig wird, um von nun an Namibia zu heißen.  Die drei Erzählebenen des Romans verlaufen allerdings nicht linear, sondern gleichzeitig, wodurch sich der Leser mit einer Erzählweise konfrontiert sieht, die nach dem Prinzip der Parallelisierung von Motiven selbst den aufmerksamsten Leser zuweilen verwirrt, da er zwischen den Personen in den gleichzeitig erzählten Ebenen oft nur schwer differenzieren kann. Paul von Kavea und seine Tochter Nele sind die beiden Figuren, denen in allen Zeitabschnitten eine tragende Rolle zufällt.

Die Themen Heimat, Gewalt, Schuld und Sühne bestimmen im übergeordneten Entwicklungszyklus das Leben der Nele von Kavea. Als Tochter von Arabella und Paul von Kavea, verlässt sie zusammen mit ihren Eltern nach dem Ersten Weltkrieg ihre Heimat und  wächst in Hamburg mit allen Privilegien einer großbürgerlichen Familie auf. Aus ihrem Leben, das in drei Etappen erzählt wird (Kindheit, Erwachsenenalter, Greisenalter), lässt sich die im Roman angelegte Wahrheit ablesen, nämlich, dass Schuld und Sühne über der  Banalität eines erfolgreichen Lebens stehen und Glück und Zufriedenheit nicht Resultate eines manipulierten Lebens sein können.

Schrei der Hyänen ist ein lesenswerter kurzweiliger Unterhaltungsroman, der zum Nachdenken anregt, indem er das alltäglich rassistische Verhalten aufzeigt und so dem Leser ermöglicht, einen eigenen Standpunkt zu finden, während er zurückblickt auf über 100 Jahre gemeinsamer deutsch-afrikanischer Geschichte.

Roland Schmiedel
15.12.2008

 
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Das Buch:

Andrea Paluch, Robert Habeck: Der Schrei der Hyänen

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München: Piper Verlag 2005
303 S. € 8,90
ISBN: 3-492-24381-9

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