Romane

Die weibliche Seite der Revolution

Brasilien, Silvester 1834. In der südlichen Provinz Rio Grande do Sul beobachtet die Nichte des Generals und Großgrundbesitzers Bento Gonçalves den sternenklaren Himmel und sieht einen Stern, der eine blutrote Feuerspur hinter sich herzieht. Die fünfzehnjährige Manuela de Paula Ferreira ahnt schon zu diesem Zeitpunkt, dass das neue Jahr nichts Gutes bringen kann. Ihre Vorahnungen bewahrheiten sich, als wenige Monate später ein Bürgerkrieg entbrennt. Mit der Farrapen-Revolution beginnen die Gauchos einen zehn Jahre dauernden Unabhängigkeitskampf gegen die Kaiserlichen.

Um sie vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen, schickt Bento die Frauen seiner Familie aufs Land. Auf der Estancia Barra, dem Hof seiner Schwester Dona Ana, leben von nun an seine Frau Caetana, seine Tochter Perpetua, seine Schwestern Maria Manuela und Ana und seine Nichten Rosario, Mariana und Manuela. Außerdem lebt auch seine ältere Schwester Dona Antonia nicht weit entfernt – sie bewirtschaft den benachbarten Hof, die Estancia de Brejo. Mit dem Gedanken, die Umsiedlung sei nur vorübergehend, aufs Land gezogen, müssen die Frauen bald erkennen, dass sich ihr Aufenthalt auf unbestimmte Zeit ausdehnt.

So wie die Kriegszeiten für die kämpfenden Männer eine Ausnahmesituation mit eigenen Regeln und einer gewissen Portion Mut, Sehnsucht, aber auch Angst darstellen, entwickeln sich auch für die Frauen andere Regeln, Gepflogenheiten und Prioritäten in dem einsamen und von Angst und Tod gekennzeichneten Leben auf der Estancia. Zwischen dem bangen Warten auf Boten mit Nachrichten von ihren Männern, Söhnen und Vätern und dem steten Wechsel der Jahreszeiten versuchen die Frauen ein einigermaßen normales Leben zu führen, denn "trotz allem, das Leben nahm seinen Lauf, wie ein Fluss".

Die Töchter der Familie wachsen heran und erreichen das heiratsfähige Alter, und wäre nicht der Krieg ausgebrochen, würden sie sich in der Stadt auf Bällen sehen lassen und den Markt der potentiellen Ehemänner sichten. So aber sind sie auf einem Landgut gefangen und flüchten sich, wie die zarte Rosario, in Fantasien von einem jungen Soldaten, der ihr als Geist erscheint, oder verlieben sich, wie die stille Manuela, Hals über Kopf in den italienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi, der ihrem Onkel Bento beim Bau von Schiffen hilft. Auch die dritte Schwester Mariana geht eine nicht standesgemäße Beziehung mit dem Landarbeiter João ein. Einzig Bentos älteste Tochter Perpetua heiratet – ganz im Sinne der Eltern – den verwitweten Nachbarn Inacio.

In all den Kriegs- und Beziehungswirren bleibt jedoch eine Maxime für die Frauen auf der Estancia unbestritten: "Wenn eine Frau an nichts mehr glaubt, ist alles verloren." Leticia Wierz, der mit ihrem neuesten Roman in Brasilien ein sensationeller Erfolg gelungen ist, zeigt eindrucksvoll die andere Seite dieses zehnjährigen, zermürbenden, südbrasilianischen Unabhängigkeitskrieges, nämlich die Perspektive der Frauen, die nichts anderes tun können, als zu warten und zu hoffen und die Gesetze der Frauen der Pampa zu befolgen: "Hier wurden keine vergeblichen Tränen vergossen, hier zerkratzte man sich nicht das Gesicht, hier verdiente man sich das Leben jeden Tag aufs Neue, mit Würde, mit dem Glauben und mit Arbeit". Wierz’ opulentes Werk über drei Generationen einer Großgrundbesitzerfamilie bleibt dem Leser noch lange nach dem Umblättern der letzten Seite im Gedächtnis und hinterlässt tiefe Spuren.

Sabine Mahnel
12.01.2009

 
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Das Buch:

Leticia Wierz: Das Haus der sieben Frauen. Aus dem Brasilianischen von Stefanie Karg

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München: Limes Verlag 2009
528 S., € 19,95
ISBN: 978-3-8090-2561-0

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