Romane

The German way of life - Vom schnellen Aufstieg zum tiefen Fall

Es ist immer wieder herrlich zu beobachten, wie Menschen sich mühsam und mit viel Fleiß nach oben arbeiten. Aber noch schöner ist es, wenn auf ihren Höhepunkt der tiefe Fall folgt. Aus diesem Grunde erfreuen sich Tragödien solcher Beliebtheit. Dies ist auch in der Medienlandschaft zu beobachten. Für den Zeitungsverleger zählen nur die verkauften Exemplare und der dadurch erbrachte Gewinn. Ähnliche Erfahrungen muss der alternde Jude Moische Bernstein machen, der Protagonist in Rafael Seligmanns Roman "Der Musterjude".

Moische Bernstein hatte einst in jungen Jahren das Ziel, ein berühmter Journalist zu werden und mit seinen Artikeln Aufmerksamkeit zu erregen. Als allerdings sein Vater nach langer Zeit des Leidens schließlich endgültig seine Augen schließt, bettelt seine "Mamme" ihn an, heimzukehren und sich um den Jeans-Laden seiner Eltern zu kümmern. Letztendlich gibt er ihrem Gezeter nach und kehrt in seine Heimatstadt München zurück. Dort arbeitet er tagtäglich, ist dabei aber nicht glücklich. Denn schließlich wollte er doch in Amerika sein Glück machen.

An seinem 40. Geburtstag gibt sein Freund Heiner Keller, der als Redakteur in einem Magazin arbeitet, ihm die Option, einen Gastbeitrag zur Woche der Brüderlichkeit zu schreiben. Dieser schlägt ein wie eine Bombe. Moische entlarvt das 20. Jahrhundert als "Hitlers Jahrhundert", wobei er an dieses Thema ganz rational herangeht. Im Zuge dieses Erfolgs schafft es Moische, sich mehr und mehr in der Medienbranche zu etablieren, bis er schließlich zum Chefredakteur in einer Tageszeitung aufsteigt. Dabei fungiert er als Sprachrohr der Nation. Er durchbricht bei dieser Tätigkeit alle Tabus - er ist doch Jude und darf sich dieses dann auch erlauben -, bis er an seinem beruflichen Höhepunkt ankommt und dann umso tiefer fällt. Letzten Endes landet er doch wieder im Jeans-Laden.

Neben der Darstellung von Bernsteins journalistischem Geschick werden gleichfalls ausführlich seine sexuellen Tätigkeiten beschrieben. Diese durchzieht das gleiche Schema wie sein beruflicher Erfolg. Während er bei seiner Tätigkeit als Jeans-Verkäufer sich mit drittklassigen Frauen - in den Augen seiner Mutter allesamt Huren - abgibt, lernt er bei seiner redaktionellen Tätigkeit in Berlin die reiche Jüdin Judith kennen. Mit seinem Abstieg verabschiedet sie sich aber auch von ihm.

Seligmann zeigt ein sehr detailliertes Bild einer Gesellschaft, die sich regelrecht auf Katastrophen stürzt. Das Thema wird auf eine satirische Art und Weise angegangen, die manches Mal zum Lächeln - teils auch über die Naivität von Moische Bernstein - anregt. Dabei wird gleichzeitig das bis heute teilweise problematische Verhältnis zwischen Juden und Deutschen beleuchtet. So reicht ein falsches Wort eines Journalisten, um womöglich als Antisemit dazustehen. Die Juden weiden sich indessen an ihrer jammervollen Vergangenheit.

"Der Musterjude" zeigt das jüdische Leben mit all seinen Facetten (z. B. Trauma nach Auschwitz, Rolle der Mutter, das jüdische Fest Jom Kippur). Da Seligmann auch viele jüdische Wörter benutzt, ist zusätzlich ein Glossar angehängt. Anfangs ist es nervig, dauernd nachgucken zu müssen, aber man nimmt diese Sprache sehr schnell auf und ist dann eingefangen davon.

Schade ist, dass nur die drei Aspekte "Journalismus", "Antisemitismus" und "Sexualität" in diesem Roman eine Rolle spielen. Alles andere kommt höchstens am Rand vor. So hat man ab einem bestimmten Punkt das Gefühl, dass sich alles wiederholt. Aber eine überraschende Wendung am Schluss bringt den Leser dazu, gewisse Aspekte, die er sich während des Lesens angeeignet hat, zu überdenken. Dieser Roman lohnt sich für all jene, die sich genauer mit dem Judentum beschäftigen möchten und diese Menschen besser verstehen wollen.

Susann Fleischer
21.07.2008

 
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Das Buch:

Rafael Seligmann: Der Musterjude

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München: dtv 2008
400 S., € 9,90
ISBN: 978-3-423-13668-6

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