Romane
Literatur von einer sprachlichen Schönheit und Eleganz, dass einem ganz schwindelig wird
Deena Garvey ist spurlos verschwunden. Für ihre Schwester Nessa bricht eine Welt zusammen, denn Deenas Ex-Freund Lucas, den sie für Deenas Mörder hält, untersagt ihr nicht nur den Kontakt zu ihrer kleinen Nichte, sondern nimmt Ruby auch noch mit nach Vermont. Dort, in der ländlichen Abgeschiedenheit der Inseln im Lake Champlain, lernt Ruby, wie man jagt und fischt, das Land bestellt und sich um Hühner kümmert. Sie lernt, was ihren Vater stolz und was ihn wütend macht. An ihre frühe Kindheit in Philadelphia erinnert sie sich nicht mehr. Bis ihr eines Tages ein Foto ihrer Mutter in die Hände fällt, eine Botschaft ihrer Tante, die seit Jahren alles daransetzt, unter anderem einen Privatdetektiv, um Lucas zur Verantwortung zu ziehen und ihre Nichte zu beschützen.
14 Jahre sind vergangen, seit Ruby von ihrem Vater mit behördlicher Erlaubnis "entführt" wurde. Lucas hat seiner Tochter Lügen über Lügen über ihre Mutter erzählt. Nun will Ruby die Wahrheit herausfinden. Nessas "Brief" ist dabei der Startschuss für ihre "Ermittlungen". Und darüber hinaus ein Schatz, der vor Lucas verborgen werden muss und der sie dazu bringt, die Geschichten ihres Vaters in Frage zu stellen. Und das, obwohl Ruby im Großen und Ganzen eine glückliche Kindheit hatte. Lucas mag unberechenbar sein, aber er liebt seine Tochter; ähnlich wie dessen Mutter Clover, die bei den beiden lebt. Ruby will endlich Antworten und noch einiges mehr; nämlich frei sein, ihre eigenen Entscheidungen treffen und die erste große Liebe erleben ...
Unterhaltung zum Niederknien grandios - das gelingt nur wenigen Autor*innen. Und eine von diesen ist Una Mannion. Ihr Können macht einen regelrecht sprach- und atemlos und ist mit nichts anderem zu vergleichen. "Sag mir, was ich bin" gleicht einer Verführung, der zu widerstehen schier unmöglich ist. Ab dem ersten Satz erliegt man mit allen Sinnen diesem Genuss. Die Britin ist ohne jeden Zweifel ein Ausnahmetalent. Das hat sie 2021 bereits mit "Licht zwischen den Bäumen" beweisen. Allerdings ist ihre aktuelle Veröffentlichung um mindestens eine Nummer besser. Solch eine Lektüre hat absolute Seltenheit, entlockt einem mehr als ein "Wow, wow, wow!". Und das vollkommen zu Recht! Weil einfach nur der Wahnsinn. Da hätte es gerne noch einige Seiten mehr sein dürfen.
Una Mannion beweist mit "Sag mir, was ich bin", dass sie eine groß(artig)e Geschichtenerzählerin ist. Sie schreibt Literatur, von der einem ganz schwindelig wird und einen so sehr berauscht wie kaum etwas anderes im Bücherregal. Das vorliegende Buch jedenfalls ist ein Meisterwerk unter den Neuerscheinungen dieses Jahres, fast schon ein Geniestreich. Belletristik - so schön, so unglaublich schön und betörend und mitten ins Herz treffend!
Susann Fleischer
04.11.2024