Romane
Ein Yankee im Mittelalter reloaded
"Handbuch für den genügsamen Zauberer: Überleben im mittelalterlichen England" ist ein Teil der fast schon legendären Crowdfunding-Aktion, bei der Brandon Sanderson für vier Buchprojekte rund 42 Millionen US-Dollar einsammelte. Bei diesem Roman verlässt der bekannte Fantasy-Autor allerdings noch stärker seine Komfortzone als bei früheren Werken. Kann das Buch dennoch überzeugen?
Ohne Gedächtnis erwacht ein Mann auf einem Acker. Ist er Gesetzeshüter, Verbrecher oder irgendetwas dazwischen? Und warum kennt er sich mit modernen Schusswaffen und technischen Errungenschaften aus, während die Welt, die ihn umgibt, dem mittelalterlichen England ähnelt? Erst nach und nach kehren seine Erinnerungen zurück. Bald muss er kämpfen – nicht nur für sich, sondern für das Schicksal einer ganzen Welt.
Brandon Sanderson ist eigentlich für epische Fantasy und für kühne, durchdachte Weltentwürfe bekannt. Dabei spielen die meisten seiner Geschichten in seinem eigenen Fantasy-Universum namens Kosmeer. Dieser Roman spielt weder im Kosmeer, noch ist es klassische Fantasy. Vielmehr handelt es sich um Science-Fiction mit Fantasy-Einflüssen. Die grundlegende Idee erinnert etwas an Mark Twains klassischen Roman "Ein Yankee am Hofe des König Artus". Allerdings variiert Sanderson die Vorlage clever und bietet seinen Lesern einen besonderen Kniff, der hier nicht verraten werden soll.
Es macht vor allem im ersten Teil des Buches Spaß, die Hauptfigur bei der Suche nach dessen Erinnerungen und damit der Identität zu begleiten. Das liegt auch daran, dass Sanderson seine Story mit – für seine Verhältnisse außergewöhnlich viel – Humor würzt. Das ist etwa der Fall, wenn der Hauptcharakter seine Erlebnisse fast manisch und immer wieder herrlich ironisch mit bis zu fünf Sternen bewertet – Internet-Bewertungsplattformen und Social Media lassen grüßen. Durch diesen komischen Ansatz drängt sich auch einigen Stellen der Vergleich mit den Werken von Terry Pratchett auf.
Ein besonderes Lob hat die Aufmachung des Buchs verdient. Wer es vorne oder hinten aufschlägt, findet hochwertige Porträtzeichnungen der wichtigsten Charaktere. Zudem sind zwischen den Kapiteln immer wieder toll aufgemachte und ansprechend illustrierte FAQs eingestreut. Diese erläutern das Setting in Form von Auszügen aus einem Handbuch, das in der Handlung des Romans eine wichtige Rolle spielt. Auch hier sorgt der ironische Grundton für reichlich Vergnügen bei der Lektüre. Ein nettes Gimmick sind außerdem die comicartigen Zeichnungen, die immer wieder auf den rechten Buchseiten zu finden sind und kleine Geschichten erzählen.
Der ganze große Wurf ist "Handbuch für den genügsamen Zauberer: Überleben im mittelalterlichen England" dann allerdings doch nicht. Das liegt vor allem daran, dass Brandon Sanderson die Potenziale seines Weltentwurfs nicht ganz ausschöpft. Zudem beschränkt sich die Perspektive praktisch ausschließlich auf den Ich-Erzähler. So begleiten ihn Leserinnen und Leser auch während seines eigenen kleinen Endkampfes, während gleich nebenan eine große Schlacht tobt, auf die Sanderson kaum eingeht. Während sich in der ersten Hälfte viele spannende Ideen finden, geht der Geschichte im zweiten Teil zudem leider etwas die Puste aus.
"Handbuch für den genügsamen Zauberer: Überleben im mittelalterlichen England" bietet unterhaltsame Science Fantasy mit einem Schuss Humor und eine tolle Aufmachung. Die Geschichte reicht allerdings nicht ganz an die besten epischen Fantasygeschichten und die facettenreichen Weltkonstruktionen heran, für die Brandon Sanderson bekannt ist.
Ingo Gatzer
12.08.2024