Romane

"Die Frauen vom Reichstag": ein ganz großer Wurf unter den historischen Romanen der letzten Jahre

Berlin, 1918/1919: Als in der Weimarer Republik endlich das Frauenwahlrecht eingeführt wird und Frauen zum ersten Mal in den Reichstag gewählt werden dürfen, ergreifen viele von ihnen die Chance, endlich etwas zu bewegen. So auch die ehrgeizige Juristin Marlene von Runstedt, die sich für berufstätige Frauen einsetzt, außerdem die Zentrumspolitikerin Sophie Maytrott (im Band "Ruf nach Veränderung"), deren Engagement besonders der Jugendfürsorge gilt, und die im Nationalsozialismus nach New York emigrierte Paula Hagedorn (im Band "Schritte in eine neue Welt"), die sich dort für die politisch Verfolgten stark macht. Drei starke, selbstbewusste Frauen, die sich für die Rechte von Benachteiligten einsetzen, obwohl sie noch mit vielen anderen Problemen und Sorgen zu kämpfen haben.

Marlene, erst seit kurzem Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, setzt sich als Leiterin einer Rechtsberatungsstelle für unterdrückte Frauen in gesellschaftlich prekären Situationen ein. Ihr liegen vor allem auch die Etappenhelferinnen in den Frontgebieten am Herzen, die fern der Heimat auf sich allein gestellt sind, weil sich niemand für die weiblichen Mitglieder der deutschen Truppen verantwortlich fühlt. Sie möchte in die Politik, um den Frauen endlich eine Stimme zu geben. Und tatsächlich gelingt ihr das Unwahrscheinlichste aller Szenarien und wird in den Reichstag berufen. Dort kann Marlene etwas bewegen. So jedenfalls hofft sie. Aber die alten Strukturen aufzubrechen, ist schwer, weitaus schwerer als gedacht. Ist der Erste Weltkrieg erst seit wenigen Monaten vorbei.

Mitten in die Aufbruchsstimmung platzt Justus von Ostwald, dem Marlene vor Jahren das Herz brach. Dennoch sind sie sich nach wie vor innig verbunden. Auch Justus' Beziehung zu der Schauspielerin Sonja Grawitz, Marlenes Jugendfreundin und nunmehr politische Widersacherin, ändert nichts daran. Marlenes Ambitionen vermischen sich immer mehr mit ihrer Zuneigung zu dem schnittigen Offizier. Und während der Wahlkampf der Frauen Fahrt aufnimmt, kämpft Marlene nicht nur politisch, sondern auch privat um ihr Glück ...

Literatur, die alle Sinne gefangen nimmt und den Leser die Welt um sich herum vollkommen vergessen lässt - was Micaela A. Gabriel schreibt, unterhält aufs Packendste und Genialste. "Die Frauen vom Reichstag"-Bände gehören zu den Highlights im Bücherregal. Mit diesen erfährt man Historienkino, von dem einem gleich ab dem ersten Satz ganz schwindelig wird. Der Auftakt, "Stimmen der Freiheit", bedeutet 1a-Unterhaltung bis zur letzten Seite. Hier ist man mittendrin Geschehen statt am Rande nur dabei. Gabriel macht Historie wieder lebendig, und das so wort- und bildgewaltig, dass es einen glatt vom Hocker haut. Ihr schriftstellerisches Können begeistert geradezu. Ob diesem will man nichts anderes mehr lesen! Vielmehr fängt man mit der Lektüre wieder von vorne an, kaum am Ende angekommen.

Wenn historische Unterhaltung, dann definitiv aus der Feder von Micaela A. Gabriel. Die Romane der deutschen Autorin sind hervorragend recherchiert und fesselnd erzählt. In ihrer "Die Frauen vom Reichstag"-Trilogie findet man deutsche (politische) Geschichte und Fiktion zu einem mitreißenden Erlebnis vereint. Da verschlägt es einem während der Lektüre von Band eins, "Stimmen der Freiheit", glatt den Atem. Absolut grandios! Solch einen Genuss findet man sonst nur noch in den Werken einer Ulrike Schweikert oder Marie Lacrosse.

Susann Fleischer 
16.05.2022

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Micaela A. Gabriel: Die Frauen vom Reichstag - Stimmen der Freiheit

CMS_IMGTITLE[1]

Hamburg: Rowohlt Polaris 2022 480 S., € 16,00 ISBN: 978-3-499-00682-1

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.