Romane

Ohne jeden Zweifel ein Meisterwerk der Erzählkunst, außerdem ein Juwel, das in keinem Bücherregal fehlen darf

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts: In einem Gartenhaus, "Scriptorium" genannt, werden Wörter gesammelt. Lexikographen arbeiten daran, Wörter für das weltberühmte "Oxford English Dictionary" zusammenzustellen. Aus aller Welt gehen Vorschläge ein, welche Wörter wichtig und historisch nachweisbar sind und in das Werk aufgenommen und eingeordnet werden sollten. Die junge Esme lebt mit ihrem Vater nahe dem Scriptorium. Vater und Tochter sind sehr eng verbunden, seit Esmes Mutter viel zu früh verstorben ist. Täglich sitzt Esme unter dem Arbeitstisch ihres Vaters und liest neugierig heruntergefallene Papiere auf, darunter z.B. "bondmaid" (leibeigene Magd). Nach und nach erkennt sie, was die männlichen Gelehrten oft achtlos verwerfen: Es sind allesamt Begriffe, die das Frauenleben betreffen.

Entschlossen legt Esme ihre eigene Sammlung an, will unbedingt die Wörter festhalten, die fern der Universität wirklich gesprochen werden. Sie versteckt ihr "Lexikon der verlorenen Wörter" in einer Truhe im Zimmer der Hausangestellten Lizzie. Dort ist es selbst dann sicher, als das Mädchen auf ein Internat in Schottland geschickt wird, um ihr eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Ein fataler Fehler! Nach einer schrecklichen Zeit in den Highlands kehrt Esme in ihre Heimat zurück. Sie stürzt sich ins Leben, findet Verbündete, entdeckt die Liebe und beginnt für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Esme lernt Suffragetten kennen, liest in der Zeitung von Hungerstreiks und Zwangsernährung, von Unruhen und Aufmärschen. Der Erste Weltkrieg überschattet ihr Leben, wie das aller zu der Zeit.

Und immer dreht es sich um Wörter, die auch durch das Zeitgeschehen, neue Bedeutungen dazugewinnen. Esme findet diese nicht nur auf zugeschickten Belegzetteln, seltener in den vornehmen Damensalons, sondern meist auf dem Markt, in den Armenvierteln und unter den Verfechterinnen der Frauenrechtsbewegung. Fortan widmet Esme ihr Leben dem Wörterbuch und vor allem den Wörtern, die ihren Weg dorthin nicht finden; Wörtern, die als zu grob oder anstößig angesehen werden, um in das Wörterbuch aufgenommen zu werden ...

Unterhaltung, die einer Verführung für alle Sinne gleichkommt - was Pip Williams schreibt, trifft mitten ins Herz und bricht es einem. Das schriftstellerische Talent der Britin ist geradezu atemberaubend und so betörend wie kaum etwas anderes auf dem internationalen Buchmarkt. Kein Wunder also, dass man "Die Sammlerin der verlorenen Wörter" zu keiner Sekunde aus der Hand legen kann. Diese Geschichte fesselt den Leser vom ersten bis zum letzten Satz. Von solch grandiosester Literatur wird einem regelrecht schwindelig. Williams' Können beschert einem Gänsehaut am ganzen Körper. Jeden Satz liest man mit leuchtenden, zugleich feuchten Augen. Denn zwischen zwei Buchdeckeln stecken Emotionen pur, außerdem das schönste, berührendste, genialste Leseerlebnis der Welt. Was für ein Genuss!

Will man Literatur der berauschendsten Sorte lesen, sollte man definitiv zu einem Buch von Pip Williams greifen. Deren Lektüre macht ganz high, ist von geradezu überwältigender Schönheit und so fesselnd, dass man ab der ersten Seite von der Welt um sich herum nichts mehr mitbekommt. "Die Sammlerin der verlorenen Wörter" gehört zu den Highlights dieses Jahres, ist ein absolutes Must-read und etwas einzigartig Besonderes im Bücherregal. Kurzum: ein Geschenk, das seinesgleichen auf dem Literaturmarkt sucht!

Susann Fleischer 
02.05.2022

 
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Das Buch:

Pip Williams: Die Sammlerin der verlorenen Wörter. Aus dem Englischen von Christiane Burkhardt

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München: Diana Verlag 2022 528 S., € 22,00 ISBN: 978-3-453-29263-5

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