Romane

Ein Juwel im Bücherregal - mehr noch: ein Buch, das Betroffenen Mut und Hoffnung spendet

Einst war Hella ein gefeierter Schlager-Star, konnte sich vor Fans kaum retten. Doch auf einen steilen Aufstieg folgt meistens ein noch tieferer Fall. Mit 69 hat Hella das Gefühl, genug von der Welt gehabt zu haben. Sie will sterben. In der Schweiz, in einem Krankenhaus. Also macht sie sich auf den Weg. Diese letzte Fahrt wird ihr alter Passat schon noch schaffen. Doch kaum auf der Autobahn, fällt etwas Schweres auf die Motorhaube ihres Wagens. Juli, 15, wollte sich von der Autobahnbrücke in den Tod stürzen. Tatsächlich so unsichtbar werden, wie sie sich seit vielen Jahren fühlt. Doch dank Hella ist plötzlich das Gegenteil der Fall. Jetzt sitzt sie nur leicht verletzt neben Hella im Auto. Zwei Frauen mit dem Wunsch zu sterben - doch wollen sie zusammen noch, was ihnen einzeln als letzte Möglichkeit erschien?

Es beginnt ein Trip durch Deutschland von zwei Frauen, die verschiedener kaum sein könnten und sich doch sehr ähnlich sind. Mit jedem Kilometer nähert sich das Duo seinem Ziel; unterbrochen unter anderem durch einen Besuch beim Frühlingsfest der Jugendfeuerwehr, eine Stippvisite in der Notaufnahme, einen Kurzaufenthalt in einem Altenheim und andere Zwischenstopps, mal mehr, mal weniger geplant. Währenddessen kämpfen sie, jede für sich, mit inneren Dämonen: Hella ist eine ältere Frau, die fast mittellos ihren alten Tagen der Berühmtheit nachtrauert. Schnaps ist ihr täglicher Begleiter und macht ihr nur zu deutlich, dass sie doch recht einsam ist. Juli ist ein respektloser Teenager, der unter Depressionen leidet. Sie schottet sich von allen ab, lügt, dass sich die Balken biegen, wirkt wankelmütig und cholerisch.

Sowohl Hella als auch Juli haben sich anscheinend kaum etwas zu sagen, trotzdem meistern sie so manches Erlebnis und am Ende bleibt die Frage: Ist das Leben nicht doch irgendwie noch lebenswert? Sagte doch schon die Biene zu dem Stachelschwein: "Schön ist es auf der Welt zu sein / Wenn die Sonne scheint für groß und klein / Du kannst atmen, Du kannst gehn / Dich an allem freun und alles sehn / Schön ist es auf der Welt zu sein." Tieftraurig, elegant und lakonisch erzählt Ronja von Rönne von zwei Frauen, denen der Tod als letzter Ausweg erscheint: ein unvorhersehbares, dramatisches, unangemessen komisches Lesevergnügen.

(Frauen-)Literatur, die den Leser zu Tränen rührt und ihm zugleich ein Lächeln auf die Lippen zaubert - nichts macht so traurig, aber auch glücklich wie die Geschichten aus Ronja von Rönnes Feder. Diese sind mit einer herrlichen Leichtigkeit geschrieben lassen es jedoch nicht an Tiefgang fehlen. Während der Lektüre von "Ende in Sicht" bewegt man sich die ganze Zeit irgendwo zwischen Heiterkeit/Unbeschwertheit und Melancholie. Das macht das vorliegende Vergnügen so besonders, so schön, so brillant. Davon ist man regelrecht überwältigt, fühlt sich außerdem ganz high. Von Rönne ist eine Schriftstellerin, die ihr Handwerk absolut genialst versteht. Ihr Können haut einen vom Hocker! Und mit ihren Romanen bekommt man noch nie dagewesene Juwelen, die heller glänzen als irgendetwas sonst, in die Hände. Absolut grandios!

Das Thema "Depression" in solch amüsante Unterhaltung zu verpacken, wie es Ronja von Rönne mit "Ende in Sicht" gelungen ist, ist eine Kunst ohnegleichen. Und nicht nur das: Die deutsche Autorin bringt die Emotionen, das Seelenleben ihrer Protagonistinnen dem Leser viel näher, als es das wahre, echte Leben jemals könnte. Man fühlt mit ihnen und ist nach dem letzten Satz ganz traurig darüber, von Hella und Juli Abschied nehmen zu müssen. Vor dieser schriftstellerischen Meisterleistung kann man eigentlich nur den Hut ziehen. Chapeau!

Susann Fleischer 
31.01.2022

 
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Das Buch:

Ronja von Rönne: Ende in Sicht

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München: dtv 2022 256 S., € 22,00 ISBN: 978-3-423-28291-8

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