Romane

Das humorvolle, mit subtiler Ironie gezeichnete Porträt einer jungen Isländerin Anfang der 1960er Jahre

Die Welt ist in Aufruhr. In Amerika sagt Martin Luther King "I have a dream". John F. Kennedy wird erschossen. In England starten die Beatles ihre Weltkarriere. Nur in Island steht die Welt still. Das muss auch Hekla erfahren, als sie - 22-jährig mit ihrer Remington-Schreibmaschine, einem Romanmanuskript, dem "Ulysses" von James Joyce und einem englischen Lexikon - in einen verrauchten Überlandbus steigt, der sie vom elterlichen Hof nach Reykjavík bringt. Dort, in der Stadt der Poeten, will sie ihren Traum verwirklichen und mit Büchern berühmt werden. Aber die schöne Hekla, benannt nach einem Vulkan, stellt schnell fest, dass in der konservativen, männerdominierten Gesellschaft das Interesse an einer Miss Island größer ist als das an einer Schriftstellerin.

Genau wie ihr Freund Jón John, der von einem Engagement am Theater träumt und als schwuler Mann ebenso mit Einschränkungen und Rollenzuschreibungen konfrontiert ist, erkennt sie, dass sie ihre Pläne nur realisieren, ihre Freiheit nur finden kann, wenn sie die Insel hinter sich lässt. Beide haben zu kämpfen; nicht nur für berufliches, sondern noch weitaus mehr für ihr privates Glück.

Hekla ist nicht nur jung, sondern auch sehr hübsch. Daher soll sie Miss Island werden und außerdem klaglos hinnehmen, dass sie während ihrer Arbeit ständig von den männlichen Gästen belästigt wird und nur die Hälfte dessen verdient, was ihre männlichen Kollegen bekommen. Doch die Arbeit im Hotel ist nur ein Brotjob. Hekla schreibt, in jeder freien Minute; das ist das, was sie ist, was sie tun muss. Ihr zur Seite steht Freundin Ísey, die jedoch den Weg der Hausfrau und Mutter eingeschlagen hat, den sie sich ständig versucht schönzureden. Und dann ist da noch Jón John, Heklas bester Freund, eigentlich der Mann ihres Lebens. Leider ist er schwul. Und Homosexualität ist in den sechziger Jahren noch ein bisschen schlimmer als eine Frau zu sein. Auch in Island ...

Ein Juwel, das man hüten sollte wie den wertvollsten Schatz in seinem (Leser-)Leben - Audur Ava Ólafsdóttirs Romane sind das schönste Geschenk der Welt. Nicht nur, weil diese Belletristik auf höchstem Niveau bedeuten, sondern man sich von diesen regelrecht high fühlt. "Miss Island" ist aber kein Buch, das nur unterhalten möchte, wenn auch aufs Grandioseste, sondern ein Buch das tiefe Einblicke in Islands Gesellschaft der 1960er Jahre gibt und wie ein Spiegel dieser wirkt. Was "Der große Gatsby" als New Yorker Lebens- und Gefühlsausdruck der Goldenen Zwanziger ist, das Ólafsdóttirs neuestes Buch für die Nachkriegszeit auf der skandinavischen Insel. DSolch ein Kunststück gelänge keiner anderen Autorin so genial wie Ólafsdóttir. Denn sie weiß, worüber sie schreibt.

Es gibt nur wenige Schriftsteller*innen weltweit, die so schreiben können wie Audur Ava Ólafsdóttir. Ihr Können ist nicht nur grandios, sondern geradezu überwältigend. Von diesem wird einem ganz schwindelig. "Miss Island" gehört zu den Büchern, die man dieses Jahr unbedingt lesen muss. Hier erfährt man Unterhaltung par excellence. Was man hier zwischen zwei Buchdeckeln findet, das versteht man unter "Literatur mit Stil und Eleganz".

Susann Fleischer 
09.08.2021

 
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Das Buch:

Audur Ava Ólafsdóttir: Miss Island. Aus dem Isländischen von Tina Flecken

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Berlin: Insel Verlag 2021 239 S., € 22,00 ISBN: 978-3-458-17902-3

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