Belletristik:

Sachbuch:

Magazin:

Romane

Von den Ängsten und Ansprüchen der Mittelschicht

Claire und ihr Mann Niko glauben, es geschafft zu haben. Sie genießen finanzielle Unabhängigkeit, bewohnen ein Haus in einer beliebten Großstadt, sehen blendend aus und sind gesund. Gerade von einem langjährigen Aufenthalt in den USA nach Deutschland zurückgekehrt, führen sie voller Stolz ihren Nachwuchs vor. Denn natürlich haben sie zwei großartige und begabte Kinder, denen der Erfolg quasi in die Wiege gelegt wurde. Tochter Cordelia ist eine talentierte Pianistin, vor allem aber ruhen die Hoffnungen auf dem jüngeren Sohn Raffi, der sich schon als Dreijähriger Lesen und Schreiben beigebracht hat und von dem alle Großes erwarten. Doch mit Raffis Schuleintritt erweisen sich sämtliche Hoffnungen als reine Fantasie. Es beginnt eine Tour de Force für die Familie.

Der Unterricht langweilt Raffi. Doch die Grundschullehrerin will nicht erkennen, dass Raffi unterfordert ist. Sie drangsaliert ihn bei jeder Gelegenheit. Der Junge zieht sich immer mehr zurück. Claire beschließt, etwas zu unternehmen. Raffi überspringt eine Klasse, aber auf Druck durch den Direktor bleibt er lediglich für ein paar Wochen in der Zweiten. Ein Schulwechsel an die Montessori endet in einer mittleren Katastrophe. Die Schule wird wegen finanzieller Probleme geschlossen. Claire sieht nur noch einen Ausweg aus der Misere: Sie schickt Ehemann Niko und Raffi in den Urlaub. Doch ein Schreiben vom Amt beendet den Italienaufenthalt. Noch im Zug zurück nach Hause wird Niko festgenommen und Raffi landet im Heim. Claire steht vor den Trümmern ihres Lebens ...

Unterhaltung, die für den Leser das größte Glück überhaupt ist - die Bücher von Karin Ernst sind ein Geschenk von einzigartiger Schönheit. In diesen steckt Poesie pur sowie Erzählkunst auf höchstem Niveau. "Überflieger" gehört zu den Romanen, die Leben verändern. Hier erfährt man einen Lesegenuss zum Niederknien. Die Autorin kann schreiben, und zwar so fesselnd, dass es einem nach nur wenigen Sätzen die Sprache und den Atem verschlägt. Ihr Erstling trifft mitten ins Herz, sodass es zu brechen droht. Noch Stunden nach dem Weglegen ist man traurig, aber auch sehr, sehr glücklich ob Ernsts unfassbar grandiosem Schreibkönnen. Sie ist ein Ausnahmetalent unter Deutschlands Schriftsteller(inne)n, definitiv eine Erzählerin, die ihresgleichen sucht. Das haut einen glatt um!

Die Geschichten aus Karin Ernsts Feder gehören zum Schönsten, was man lesen kann. Mit diesen erfährt man Literatur mit absoluter Lach-, Wein- und Glückgarantie. "Überflieger" bedeutet eine Lektüre der ganz besonderen, außerdem ungewöhnlich wertvollen Sorte. Claires und Nikos Kampf um das Wohlergehen ihres Sohnes lässt niemanden unberührt. Mehr Emotionen findet man nur seltenst zwischen zwei Buchdeckeln. Ein brillanteres Debüt ist zuletzt Yasmina Reza mit "Hammerklavier" gelungen. Absolut überwältigend ab der ersten Seite!

Susann Fleischer
06.05.2019

Diese Rezension bookmarken:

Social Bookmarking