Krimis & Thriller

Wohl bekomms!

In den Kanälen Venedigs treibt ein Toter, dessen Identität Guido Brunetti vor ein Rätsel stellt. Sein Anblick lässt den Commissario fortan nicht mehr los. Woher kennt Brunetti den Mann, der von niemandem vermisst zu werden scheint? Der edle Lederschuh lässt auf eine gehobene Herkunft schließen, sein deformierter Hals muss einer seltenen Krankheit geschuldet sein. Brunetti ist sich sicher, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hat, kann seine Erinnerungen aber - zunächst - nicht einordnen.

Donna Leon bleibt auch in ihrem achten Lebensjahrzehnt der Taktung eines Brunetti-Romans pro Jahr treu. "Tierische Profite" ist mittlerweile Fall Numero Einundzwanzig, den sie ihrem Protagonisten auf den Leib geschrieben hat. Der sprechende Titel verrät bereits, dass Leon sich wieder einmal der Gier des Menschen widmet, wobei es die Tiere sind, derer sich die Gierigen beim Ausleben ihrer Sucht nach dem schnöden Mammon behelfen.

Im Zuge ihrer Ermittlungen tauchen Brunetti und sein Kollege Vianello hinab in die Untiefen der Fleischverarbeitung und veterinärmedizinischen Untersuchungen. Der Besuch der beiden auf einem Schlachthof markiert einen Höhepunkt in der gesamten Brunetti-Reihe. Der Commissario scheint ob der schaurigen Anblicke und Erkenntnisse, die sich ihm offenbaren, aus der Realität zu driften und die sich ihm bietenden Vorgänge aus einer anderen Sphäre zu beobachten. Auch der Leser wird in diesen Szenen durchaus mehrmals durchatmen und hartgesotten sein müssen, um die nächste fleischlastige Mahlzeit genießen zu können.

Vor genau zwanzig Jahren erschien mit "Venezianisches Finale" der erste Brunetti-Roman aus der Feder Donna Leons. So ist es nicht verwunderlich, dass auch im Kosmos des Guido Brunetti die Zeit nicht stehen geblieben ist. Brunettis Sohn Raffi besucht mittlerweile die Universität und studiert dort die Geschichte des modernen Italien, was natürlich die Grundlage für ein intensives Tischgespräch bildet. Auch im Büro geschieht Erdrutschartiges: Guido Brunetti, der sich bis dato stets erfolgreich gegen eine eigene Nutzung neuerer Technologien, die bei genauerer Betrachtung so neu eigentlich gar nicht mehr sind, gewehrt hatte, bekommt einen Computer mit Internetzugang auf den Schreibtisch gestellt. Dies bedeutet allerdings nicht den Abschied von seiner guten Seele, Signorina Elettra, da sie ihm schließlich den Rechner einrichtet und Brunetti in dessen Geheimnisse einweist. Darüber hinaus ist die findige Kollegin auch weiterhin für die ambitionierten Recherchen verantwortlich.

Wer sich in der Vergangenheit an denjenigen Brunetti-Romanen störte, die bei der schlussendlichen Aufklärung im Sande verliefen, da entweder Brunetti dem Täter seine Tat nicht belastbar nachweisen konnte oder die Nicht-Aufklärung die Hilflosigkeit im gesamten System unterstreichen sollte, dieser Leser wird an "Tierische Profite" seine wahre Freude haben. Die Aufklärung des Falles geschieht lückenlos, die Schuldigen gestehen umfänglich und werden entsprechend für ihre Untaten büßen müssen. Auch eröffnet Leon dieses Mal nur in ganz geringem Maße Nebenschauplätze, die vom eigentlichen Fall ablenken könnten. Der Leser begleitet Brunetti von der ersten bis zu letzten Seite nahezu ausschließlich in dessen Mission, den Mörder des Unbekannten zu finden und die Beweggründe für diese Tat ans Tageslicht zu bringen.

"Tierische Profite" ist ein richtig starker Roman aus der Feder der Wahl-Venezianerin, die dabei ein Thema zu Tage fördert, dass von Carnivoren gerne verdrängt wird. Doch für wen bei zu verzehrendem Fleisch die Qualität nicht an allererster Stelle steht, der bekommt entsprechend Minderwertiges serviert. Denn schließlich kennt auch bei diesem magensensiblen Thema die Gier des Menschen keine Gnade. "Tierische Profite" ist der beste Beweis dafür, dass die Brunetti-Reihe bei solch gelungen umgesetzten Ideen Donna Leons noch lange nicht am Ende ist. Mit "The Golden Egg" ist dieser Tage im englischsprachigen Original auch schon Fall Nr. 22 erschienen, dessen deutsche Übersetzung dann im üblichen Rhythmus seinen Weg im Mai 2014 in die hiesigen Buchläden finden wird.

Christoph Mahnel
24.06.2013

 
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Das Buch:

Donna Leon: Tierische Profite. Commissario Brunnettis einundzwanzigster Fall. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz

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Zürich: Diogenes Verlag 2013
327 S., € 22,90
ISBN: 978-3-257-06858-0

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