Krimis & Thriller

Ich weiß , was Du im Sommer 62 getan hast! Oder doch nicht?

Der Sommer 1962 war ein Spitzensommer, zumindest für die beiden vierzehnjährigen Freunde Erik Wassmann und Edmund Wester. Der Pubertät entflohen kennt ihr Schwärmen für die neue Lehrerin an ihrer Schule keine Grenzen: Ewa Kaludis, ein Name so schön wie die Frau selbst, sorgt nach ihrer Ankunft für viel Aufruhr. Neben ihrer persönlichen Erscheinung ist dies auch ihrem Verlobten geschuldet, dem Fiesling Berra Albertsson, der als Handballspieler wegen seines gefürchteten Wurfs auch Kanonen-Berra genannt wird. Eriks älterer Bruder Henry geht mit der schönen Ewa - ob ihrer Ähnlichkeit zu der US-Schauspielerin als Kim Novak bezeichnet - eine kurze und amouröse Affäre ein, an deren Ende der tote Berra Albertsson steht.

Dies alles trug sich zu in Håkan Nessers Bestseller "Kim Novak badete nie im See Genezareth", im Übrigen auch ein brillanter Titel, der ähnlich einprägend und auf der Zunge zergehend ist wie Ewa Kaludis und Kanonen-Berra. Der Roman, der 1998 erschienen war, hat sich in kürzester Zeit zu einem modernen bzw. kommenden Klassiker gemausert. In Schwedens Schulen gehört er mittlerweile zur Standard-Lektüre. Was "Kim Novak badete nie im See Genezareth" so unvergesslich macht, ist unter anderem auch der offene Ausgang der Geschichte. Nesser legt Fährten, doch lässt den Leser grandios im Dunkeln tappen. In den vergangenen Jahren verging laut Nesser kein öffentlicher Termin, in dem er nicht nach dem Mörder von Kanonen-Berra gefragt worden ist. Beharrlich hat er geschwiegen, doch nun ist er bereit, die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Wer ein 80 Seiten starkes, in Großbuchstaben versehenes Büchlein für 8,99 Euro, das man in einer halben Stunde konsumiert hat, für gewöhnlich als pure Geldmacherei bezeichnen würde, wird im vorliegenden Fall allerdings unumwunden zugeben, dass es jede halbe Seite und jeden Cent wert ist, endlich die Auflösung erfahren zu dürfen. Der Titel des vorliegenden Buches ist mit "Die Wahrheit über Kim Novak und den Mord an Berra Albertsson" gegenüber dem Original noch mal in die Länge gezogen worden, wobei sich allerdings kein Leser auch nur eine Sekunde auf dem Deckblatt aufhalten wird, sondern sich statt dessen direkt in medias res stürzen wird.

Der Kreis der Verdächtigen beschränkt sich im Grunde genommen auf die vier oben erwähnten Personen: Erik und Edmund, Henry und Ewa. Wer erwartet hat, dass Nesser im klassischen "Whodunit" einer Agatha Christie ein Sequel mit der plumpen Auflösung abliefern würde, sieht sich getäuscht. Denn Håkan Nesser wäre nicht er selbst und einer der größten lebenden Schriftsteller, würde er den Leser nicht in tiefere Zusammenhänge entführen. Nesser stellt im vorliegenden Buch nach seinen einführenden Worten einen Brief von Ewas Schwester Anja vor, des Weiteren ein Interview mit einer späteren Geliebten Edmunds und die merkwürdige Schrift eines Eugen G. Brahms, bevor er abschließend von seinem Besuch in den amerikanischen Adirondacks bei einem der Verdächtigen berichtet.

Nesser transportiert die Frage nach dem Täter auf eine Metaebene, indem er den Mordfall Berra Albertsson mit einem tatsächlichen Mord gleichsetzt. Demnach gibt es ein reales Vorbild für die Geschichte und somit wirkliche Pendants zu Erik, Edmund, Henry, Ewa und Berra. Dies sei auch der Grund dafür, dass Nesser solange geschwiegen hatte, zumal er dies den Beteiligten im Vorfeld seiner Recherchen zu "Kim Novak badete nie im See Genezareth" versprochen hatte. Was ein wenig konfus klingt, hält den Leser in Atem und tritt bei ihm mehrere parallele Denkprozesse in Gang, die ihn letztlich davon abhalten vorzublättern, um lediglich den Namen des Mörders in Erfahrung zu bringen.

Natürlich wird an dieser Stelle nicht verraten, ob Nesser tatsächlich einen Namen nennt und falls ja, wer denn nun Berra erschlagen hat. Doch kann garantiert angemerkt werden, dass ein jeder nach den wenigen Seiten des vorliegenden Buchs selbiges ein wenig irritiert zuschlagen wird, ohne dabei aber zu granteln, zuviel Geld für zu wenig Lesevergnügen ausgegeben zu haben. Nein, Nesser hat große Klasse bewiesen und die schwierige Aufgabe, auf "Kim Novak badete nie im See Genezareth" noch etwas Gebührendes folgen zu lassen, gekonnt gemeistert. Was der Leser am Ende glaubt oder nicht, das sei jedem selbst überlassen. "Die Wahrheit über Kim Novak und den Mord an Berra Albertsson" ist keineswegs eindimensional und ein jeder wird sich für sich seine Wahrheit über die Ereignisse im Spitzensommer '62 selbst herleiten können.

Christoph Mahnel
13.12.2010

 
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Das Buch:

Håkan Nesser: Die Wahrheit über Kim Novak und den Mord an Berra Albertsson. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt

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München: btb Verlag 2010
80 S., € 8,99
ISBN: 978-3-442-75291-1

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