Krimis & Thriller

Von Maßkrügen und Maschinengewehren

Es ist der perfekte Plan. Alle Bierzelte werden mit versteckten Ventilen ausgestattet, die ein hochentwickeltes Nervengift freisetzen können. Söldner in Polizeiuniformen werden auf das Gelände geschleust. Die Kanalisation unter dem Festplatz wird vermint, die Überwachungskameras manipuliert, gegen alle Arten von Funkverbindungen vorgebeugt. Der Schauplatz besagter Vorbereitungen: das Münchener Oktoberfest. Was folgt, ist die größte Geiselnahme der Kriminalgeschichte, ausgeführt von einer Gruppe russischer Terroristen unter dem Kommando von General Oleg Blochin.

Die erste Demonstration der Entschlossenheit der Gruppe: Die Insassen aller Zelte werden mit einem Betäubungsgas für eine gute Stunde außer Gefecht gesetzt, wobei über einhundert von ihnen die unfreiwillige Narkose nicht überleben - doch auch dies ist einkalkuliert. Als das Polizeipräsidium, der Oberbürgermeister von München und der Ministerpräsident in einem anonymen Fax hierüber in Kenntnis gesetzt werden, glauben sie zunächst an einen schlechten Scherz. Schließlich wird auch das geforderte Lösegeld bekannt: 150 Kilogramm Diamanten nicht unter eineinhalb Karat - ein unglaubliches Vermögen. Der hastig im Kabinettsaal der bayerischen Staatskanzlei versammelte Krisenstab begeht den Fehler, die Gefährlichkeit der Geiselnehmer zu unterschätzen - mit desaströsen Folgen. Und auch der Versuch der Vollprofis der GSG 9, die Installationen des Gegners zu infiltrieren, scheitert geradezu spektakulär.

Zu allem Überfluss erweist sich die rasch verhängte Nachrichtensperre alles anderes als wasserdicht. Als erste Details der spektakulären Terroraktion publik werden, verfällt ganz München in einen Zustand der Panik und schließlich blickt die gesamte Welt gebannt auf die unglaubliche Hi-Tech-Terroraktion. Als sich der Schock in den Reihen der Mitglieder des Krisenzentrums gelichtet hat, wird die Entscheidung gefällt, das exorbitante Lösegeld zu beschaffen. Schlicht die Waffen zu strecken und den Geiselnehmern das Feld zu überlassen, kommt jedoch nicht in Frage, hierin sind sich alle Beteiligten einig. Denn schließlich hat die deutsche Regierung noch ein Ass im Ärmel, einen Mann, der seine Auftraggeber noch nie enttäuscht hat. Sein Name: Wolfgang Härter.

Wer erwartet, dass sich "Oktoberfest" an dem vor mittlerweile 30 Jahren stattgefundenen Anschlag auf das deutsche Volksfest schlechthin orientiert, wird rasch eines Besseren belehrt und muss zur Kenntnis nehmen, dass hier ein noch rauerer Wind weht. Aufgrund der erschreckend gut durchorganisierten Vorgehensweisen der Geiselnehmer unter Zuhilfenahme modernster - und tödlichster - Militärtechnologien entfaltet sich ein Terrorakt, der das reale "Wiesn"-Attentat vergleichsweise harmlos erscheinen lässt. Zudem sind Blochin und seine Männer nicht verlegen, um ihre Skrupellosigkeit mehr als vielfältig zu demonstrieren. Das Resultat ist ein Horrorszenario, das den Leser gefangen nimmt und nicht mehr loslässt. Denn eins ist klar: Eine derartig haarsträubende und blutige "Wiesn" gab es noch nie.

Zudem baut das Debüt des Münchner Autors Christoph Scholder keineswegs ausschließlich auf Nervenkitzel und Action. Der Leser stößt schnell auf zahlreiche Nebenhandlungen, die eingangs wie aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen, aber sich gegen Ende des Buchs wie ein großes Puzzle zusammenfügen. Und auch mit Überraschungen spart Scholder nicht und demonstriert so eindrucksvoll, dass auch der beste Plan oftmals Lücken aufweist und Sieg und Niederlage häufig um Haaresbreite entfernt liegen. Nur Obacht: "Oktoberfest" gönnt sich immerhin rund 120 Seiten Vorgeschichte, bevor der Terror auf der Theresienwiese seinen Lauf nimmt. Und die hohe Anzahl regelrecht martialischer Szenen ist nichts für schwache Gemüter. Wer sich hiervon nicht abschrecken lässt, dem winkt eine "Wiesn", die er so schnell nicht vergessen wird. Ein Garant für Nervenkitzel pur für "Wiesn"-Fans und "Wiesn"-Hasser gleichermaßen.

Johannes Schaack
01.11.2010

 
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Das Buch:

Christoph Scholder: Oktoberfest

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München: Droemer Verlag 2010
603 S., € 19,95
ISBN: 978-3-426-19888-9

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