Krimis & Thriller

Familiäre Abgründe

Der kleine Jason wurde - wie das Gericht entschieden hat - das Opfer unglücklicher Umstände. Der Junge ist im Teich unweit des Hauses seiner Eltern ertrunken. Doch seine Mutter hat starke Zweifel daran, dass ihr Sohn nicht gewaltsam zu Tode gekommen ist. Sie verdächtigt ihren Ehemann des Mordes an Jason. Allerdings ist die Sachlage in Thomas H. Cooks Psychothriller "Trugbild" alles andere als eindeutig, denn Dianas Familie hat ein dunkles Vermächtnis zu tragen, das alles in Frage stellt.

Thomas H. Cook geht raffiniert vor. Er schildert das Geschehen aus der Perspektive des Anwalts David Sears - seinerseits Dianas Bruder und somit Jasons Onkel -, den er zum Ich-Erzähler auserkoren hat. So schlüpft der Leser von Anfang an in die Rolle dieses Protagonisten, der sich in einer klassischen Verhörsituation befindet. Warum er von dem Profiler Petrie verhört wird und weshalb er scheinbar angeklagt ist, bleibt zunächst unklar. In diesem Gespräch mit dem Ermittler, in das Cook den Leser am Ende jedes der 24 Kapitel zurückführt, schildert Sears aus seiner Sicht, was sich vor und nach dem tragischen Tod seines Neffen ereignet hat.

Dabei kommt es zur Offenlegung seiner eigenen Familiengeschichte und zur Auseinandersetzung damit. Davids Vater war an paranoider Schizophrenie erkrankt, die sich zum ersten Mal richtig Bahn brach, als David fünf Jahre alt war. Von da an bis zum Tod des "Alten Mannes" - wie ihn David nur nennt - hatte das Leben der kleinen Familie unter dieser Krankheit gelitten. Schließlich hatte Diana sogar ihr Studium abgebrochen, um sich um den Vater zu kümmern und David vor dessen Ausbrüchen zu schützen. Im Verlauf des Verhörs stellt sich allerdings die Frage, ob Diana beim Ableben des "Alten Mannes" nicht vielleicht doch eine aktive Rolle gespielt haben könnte.

Nach dem Tod ihres Sohnes, der die Krankheit seines Großvaters geerbt hat, gleitet auch Diana zusehends in die dunkle Welt des Wahnsinns ab. Da ihr Ehemann Mark zunehmend Anstoß an den Verhaltensauffälligkeiten seines Sohnes genommen hatte und zum Zeitpunkt von Jasons Tod allein mit ihm zu Hause gewesen war, gibt sie ihm die Schuld an der Tragödie. Es besteht die Gefahr, dass Diana ihrem Gatten etwas antut. Dabei zieht sie Davids Tochter Patty immer mehr in ihren Bann und scheint sie als Werkzeug missbrauchen zu wollen. David muss sie aufhalten ...

Während des Gesprächs zwischen David Sears und Detective Petrie drängt sich dem Leser jedoch immer stärker der Eindruck auf, dass David selbst paranoide Züge aufweist. Schließlich bestimmen Angst und Wut sein Handeln. Kann man dem, was er erzählt, wirklich Glauben schenken? Und warum spricht er fortwährend von vier Toden? Thomas H. Cook versteht es meisterhaft, den Leser vollkommen zu verunsichern und ihn gleichzeitig auf sehr subtile Art und Weise in die Tiefen der menschlichen Psyche einzuführen, wodurch Zusammenhänge und Handlungsmuster erklärt werden. Dadurch, dass der Leser selbst in die Person David Sears hineinversetzt wird, sieht er sich in der Position eines Unwissenden, der im Grunde alles weiß. Aus diesem Paradoxon bezieht der Psychothriller "Trugbild" sein eigentliches Spannungsmoment.

Christian Götz
20.07.2009

 
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Das Buch:

Thomas H. Cook: Trugbild. Psychothriller. Aus dem Amerikanischen von Christine Gaspard

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München: Knaur Taschenbuch Verlag 2009
347 S., € 8,95
ISBN: 978-3-426-50255-6

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