Krimis & Thriller
Im Dutzend besser
Jakob Fender wacht in einem Krankenhaus auf, ohne sich an sein bisheriges Leben erinnern zu können. Selbst sein eigener Name muss ihm nahegebracht werden. In einem Hinterhof wurde er mit einem Baseballschläger auf übelste Weise traktiert, so dass er sich äußerst glücklich schätzen darf, mit dem Leben davongekommen zu sein. Lediglich seine Ex-Frau kann Fender im Krankenhaus Details zu seinem bisherigen Leben vor dem brutalen Überfall mitteilen. Doch hat sich zum einen ihre Beziehung zu ihm über die Jahre hinweg sehr abgekühlt, und zum anderen scheint sie ihm einige Informationen bewusst vorenthalten zu wollen. Fenders Kampf, in seinem Kopf die Tür zu seinen Erinnerungen wieder zu öffnen, gestaltet sich schwieriger und langwieriger als zunächst gedacht. Genauso auch die Bemühungen der Polizei, den oder die Übeltäter dingfest zu machen.
Die Polizei, in diesem Falle das kongeniale Duo Zorn und Schröder, tappt einerseits im Dunklen und ist andererseits ob des defensiven Verhaltens von Fenders Ex-Frau auch leicht irritiert. Doch bevor in diesem Fall Fortschritte zu vermelden sind, geschieht das nächste Kapitalverbrechen in der Stadt. Björn Kuchta, ein weitgehend geächteter lokaler Rechtspopulist, baumelt an einem Seil von einer Brücke herab. Einige Indizien weisen darauf hin, dass es sich um zwei zusammenhängende Fälle handeln könnte. Doch kann - oder will? - Jakob Fender den beiden Ermittlern nicht weiterhelfen. Je tiefer sich die beiden Antipoden Zorn und Schröder in die Fälle hineingraben, um so vertrackter erscheint die Lösung zu werden. Zu allem Überfluss führt die Spur schließlich zu etlichen, im europäischen Umland verübten Morden, die allesamt ungeklärt geblieben sind.
Mit "Ausgelöscht" präsentiert Stephan Ludwig bereits seinen zwölften Fall rund um Hauptkommissar Claudius Zorn und den dicken Schröder, wobei letzterer der heimliche Star und Held vieler Fälle ist, die den beiden Ermittlern in den vergangenen Jahren vorgelegt wurden. Anno 2012 hatte der Autor seine beiden Protagonisten in "Tod und Regen" erstmals auf die Bühne geschickt und damit eine Reihe begründet, die zu einer absoluten Erfolgsstory mutieren sollte. Es erscheinen schließlich nicht nur im Jahrestakt neue und von den Fans sehnsüchtig erwartete Fälle, sondern auch das Fernsehen hat das Potential dieses ungewöhnlichen Ermittler-Duos schon lange erkannt und bis heute die ersten fünf Fälle im Spielfilm-Format umgesetzt. Doch trotz sehr passabler Einschaltquoten stürzen sich die wahren Anhänger von Zorn und Schröder vor allem auf die Bücher, in denen Stephan Ludwig mit seinem unnachahmlichen Schreibstil die beiden Charaktere brillant in Szene setzt.
Natürlich wird auch im vorliegenden Roman der ewige Zwist um die Chefrolle humoristisch fortgeführt. Zum Running Gag in "Ausgelöscht" werden schließlich Zorns bescheidene Bemühungen, auf der Nintendo Switch gegen Schröder und seinen Sohn Edgar bei "Super Mario Kart" zu bestehen. Als mildernder Umstand lässt sich Zorns Behinderung an seiner Hand, die aus einem früheren Fall herrührt, heranziehen. Ansonsten agieren die beiden Freigeister wieder hervorragend sowohl im Team als auch als Individualisten mit Ratio und Bauch. Eine Besonderheit im neuesten Zorn-Roman stellt die Umsetzung von Jakob Fenders Weg aus der Amnesie heraus dar. Der Autor lässt den anfangs Umherirrenden als Ich-Erzähler auf den Leser los. Die Kapitel aus der Sicht von Fender wechseln sich dabei konsequent mit denjenigen ab, in denen Zorn und Schröder agieren.
Auch wenn es seit einigen Zorn-Romanen keine Hörbuch-Ausgaben mehr gibt, die mit David Nathan am Mikrofon stets als eine perfekte Inszenierung daherkamen, tut dies keinen Abbruch, da es der Autor versteht, den Leser von Beginn an zu fesseln und das sehr flüssig geschriebene Buch in einem Rutsch durchlesen zu lassen. Die Zorn-Reihe, die in Halle an der Saale spielt, gehört auf dem deutschen Büchermarkt ganz weit vorne in die Rubrik lokal verorteter Krimi-Reihen. Das Erscheinen eines neuen "Zorns" stellt ein absolutes Highlight im Bücherjahr dar, obwohl das Lesevergnügen immer wieder schon nach kürzester Zeit vorbei ist. Nur wenige deutsche Krimi-Autoren im Hier und Jetzt besitzen die Gabe eines Stephan Ludwig, den Leser derart zu paralysieren und seine gesamte Aufmerksamkeit auf das vor ihm liegende Buch zu richten. Möge diese spannende Reihe mit den wunderbaren Charakteren noch viele Fortsetzungen finden!
Christoph Mahnel
28.11.2022