Krimis & Thriller
Der lange Arm der Stasi
Sara Nowak war bei ihrer gelungenen Zerschlagung eines alten, in Schweden stationierten Stasi-Netzwerks gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Dennoch zeichnen die Spuren dieses Kampfes fortan ihr Gesicht und ihren Gemütszustand. Bei ihrem Arbeitgeber, der schwedischen Polizei, war sie anschließend in eine neue Abteilung versetzt worden. Dort holt sie allerdings schneller als gewünscht der Alltag wieder ein, als drei Leichen aus dem Wasser gefischt werden. Herkunft und Todesart lassen auf ein Aufflammen von Bandenkriegen in Stockholm schließen. Sara Nowaks Aufmerksamkeit wird darüber hinaus von einem ganz anderen Mord in Beschlag genommen: Jürgen Stiller, ein als Pfarrer getarnter Ex-Spion, hatte versucht, mit Sara Kontakt aufzunehmen. Doch bevor sie sich zu einem Rückruf durchringen konnte, baumelt dieser von einem Seil an der Decke herunter. Der offensichtlich fingierte Selbstmord lässt bei Sara die Alarmglocken schrillen, denn ihr wird klar, dass die Stasi und ihre Schläfer ihre Mission noch lange nicht beendet haben.
Im vergangenen Jahr war Gustaf Skördeman mit "Geiger" ein aufsehenerregendes Debüt gelungen. Die Verquickung von Spionageaktivitäten der Stasi mit dem Hier und Jetzt, mehr als dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, war ihm mehr als gelungen. Nach dem furiosen Finale waren dementsprechend Erwartung und Vorfreude groß. "Faust" lautet der Titel des zweiten Teils der als Trilogie angelegten Reihe um Sara Nowak und den langen Arm der Stasi. Leider konnte sich Lübbe als Herausgeber des vorliegenden Buches nicht erneut zu einer haptischen Hörbuchausgabe durchringen. Neben dem Buch ist lediglich ein Hörbuch-Download erschienen. Das sich über fast 500 Seiten erstreckende Buch hat es allerdings in sich und mutiert spätestens ab der Hälfte zum unwiderstehlichen Pageturner. Nachdem der Autor es zu Beginn noch ein wenig ruhig hat angehen lassen, womöglich um der Protagonistin etwas Ruhe zu gönnen, dreht er urplötzlich die Schlagzahl nach oben, sodass man als Leser der Handlung ausgeliefert ist.
Zur Erinnerung sei angemerkt, dass es sich bei Gustaf Skördeman um einen spätberufenen Quereinsteiger handelt. In seinen knapp sechzig Lebensjahren hatte er sich bisher als Drehbuchautor und Filmregisseur hervorgetan, natürlich eine gute Voraussetzung, um hochdynamische Thriller schreiben zu können. Schon in "Geiger" hatte Skördeman mit seinem Faible für Drehungen und Wendungen nicht hinterm Berg gehalten. Davon macht er auch im vorliegenden Teil rege Gebrauch, gerade im letzten Drittel schockt er seine Leser mehrmals und ganz gewaltig. Dynamik ist Trumpf bei Gustaf Skördeman, weniger die Empathie, mit der er sich in seine Hauptfiguren hineinversetzt. Denn so manches Mal fragt man sich schon, warum dieser oder jene so handelt, wie der Autor sie handeln lässt. Doch lässt der atemberaubende Schreibstil selbst nachdenklichen Lesern kaum Zeit hierfür.
Die Idee, ein Stasi-Netzwerk in Schweden in Wachsamkeit zu halten, ist wirklich genial und so anregend, dass man darüber zu sinnieren beginnt, wo frühere Geheimdienste heute tatsächlich noch im Verborgenen agieren oder zumindest mit Schläfern durchsetzt sind. War in "Geiger" die drohende Tragweite einer Stasi-Operation noch viel größer angelegt, hat Skördeman in "Faust" nun die Familie von Sara Nowak intensiver integriert. Ihr Mann Martin ist als Produzent von Musik-Events gerade damit beschäftigt, mit "Uncle Scam" den heißesten Music-Act des Planeten durch Stockholm zu hofieren. Lange Zeit fragt man sich, warum diese Nebenhandlung so breit ausgerollt wird, bis einem schließlich Skördeman die lange Nase zeigt.
In 66 Kapitel hat der Autor die Handlung in "Faust" zerlegt. Alleine dieser Aspekt der äußeren Form zeigt schon vor der ersten Seite, was einen in diesem Buch erwartet. Als guter Filmproduzent hat es sich Skördeman auch nicht nehmen lassen, mit einem guten Cliffhanger zu enden. Natürlich war bereits klar, dass es einen dritten und letzten Teil geben wird. Nun ist sogar gewiss, dass es dort zu einem finalen Showdown kommen wird, der der am tiefsten Tiefpunkt angekommenen Sara Nowak noch einmal alles abverlangen wird. Im schwedischen Original ist "Wagner" als Schlussstein dieser Trilogie bereits in diesem Frühjahr erschienen, eine deutsche Übersetzung sollte demnach im kommenden Jahr bereitstehen.
Christoph Mahnel
04.07.2022