Kinder- & Jugendbuch
Die Kunst , in den Wirren des Krieges zu überleben
November 1939: Anna ist erst sieben Jahre alt, als sich ihr Leben auf einen Schlag verändert. Ihr Vater, ein renommierter Professor der Krakauer Universität, wird ins Gefängnis, dann in ein Internierungslager und zum Schluss in das Konzentrationslager nach Sachsenhausen gebracht. Doch davon ahnt die kleine Anna, die sehr behütet aufgewachsen ist, nichts. Sie verbringt ihren Tag bei dem Apotheker Doktor Fuchsmann, der sie, als ihr Vater sie nicht abholt, unter dem Tresen in der Apotheke schlafen lässt.
Als Doktor Fuchsmann jedoch entscheidet, dass Anna nicht bei ihm bleiben kann, trifft sie den wohl faszinierendsten Mann, den sie sich vorstellen kann: Er ist sehr groß, sehr dünn und kann mit Vögeln sprechen - der Schwalbenmann. Nach anfänglichem Zögern gehen die beiden gemeinsam auf eine Reise, die ihr Leben für immer verändert.
Gavriel Savit schafft es mit seinem Roman "Anna und der Schwalbenmann" eine zugleich berüh-rende, lebensbejahende und doch bedrückende Geschichte zu erschaffen, die einen nicht mehr loslässt.
Die beiden Hauptpersonen, Anna und der Schwalbenmann, sind faszinierend gezeichnet. Anna, die während der Erzählung die Wandlung vom Kind zur jungen Erwachsenen vollzieht, ist sehr gebildet, spricht mehrere Sprachen und weiß intuitiv, wie sie in Situationen reagieren muss, um sich und andere zu schützen. Im Verlauf der Geschichte wird sie zunehmend verantwortungsbewusster und erwachsener, was natürlich auch mit den Umständen, in denen sie sich befindet, zu tun hat.
Der Schwalbenmann hingegen ist am Anfang des Romans sehr in sich verschlossen und stets darauf bedacht, nicht aufzufallen. Durch Annas Gesellschaft wandelt er sich jedoch zu einem sorgenden und gleichsam angenehmen Reisegefährten.
Die Dynamik dieses Duos ist schön anzusehen. Sie lernen voneinander und können sich aufeinander verlassen, was sie mehrmals unter Beweis stellen müssen.
Die gesamte Geschichte ist während des Zweiten Weltkrieges angesiedelt. Hierbei schafft der Autor es ohne Probleme, dem Leser durch seine Sprache diese Zeit visuell zugänglich zu machen. Deut-sche und sowjetische Soldaten werden als Wölfe und Bären dargestellt, wodurch der jugendliche Leser, genau wie Anna, über die Bedrohlichkeit der beiden Armeen aufgeklärt wird und sich jederzeit der Gefahr, in der sich die beiden Hauptfiguren befinden, bewusst ist, ohne jedoch Angst zu bekommen. Die Greueltaten des Krieges werden von Gavriel Savit natürlich nicht außer Acht gelassen, allerdings sind die Schilderungen einem Jugendbuch angemessen. Auch die Illustrationen von Laura Carlin unterstützen das Leseerlebnis, fließen wunderbar in den Text ein und schaffen es, die dargestellte Atmosphäre noch zu vertiefen.
Fazit: "Anna und der Schwalbenmann" ist ein packendes Jugendbuch, das die sofortigen Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die polnische Bevölkerung, Anna und den Schwalbenmann im Speziellen, thematisiert und dabei den jugendlichen Leser nicht außer Acht lässt. Die Sprache ist bildhaft und flüssig, wodurch eine sehr spannende Geschichte entsteht, die man unbedingt zu Ende lesen möchte, um zu wissen, was das Schicksal für die beiden Hauptfiguren bereithält!
Jana Gengnagel
02.05.2016