Kinder- & Jugendbücher

Jenseits von Gut und Böse

Über eins kann sich der 14-jährige Fritz sicher sein: Um sein Leben würde ihn so manch anderer Jugendlicher des Dritten Reichs beneiden. Sein Vater ist der Leiter eines Lebensborns im annektierten Luxemburg und dazu mit einem einflussreichen SS-Offizier befreundet. Ein Lebensborn ist eine Einrichtung, in denen unverheiratete, schwangere Frauen aufgenommen werden, um zu entbinden - so erklären ihm sein Vater und seine Mitarbeiter. Dieser Idee kann Fritz nichts Schlechtes abgewinnen und auch an der Ideologie des NS-Reiches, mit der er aufgewachsen ist, sieht er nichts Falsches.

Von seinem Vater hat er erfahren, dass er während seiner Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen hat und deswegen wohl eine Schädigung des Gehirns davongetragen hat. Doch er weiß, dass, wenn er stets an der Seite seines Vaters bleibt, ihm auch dies nicht zum Verhängnis werden wird. Fritz kann jedoch nicht ahnen, dass seine Welt bald erschüttert werden wird, wofür eine Serie von eigenartigen Vorfällen im Lebensborn-Heim verantwortlich ist. Zuerst verschwindet die junge Helene, die kürzlich entbunden hat, spurlos. Als nächstes sieht Fritz den unansehnlichen alten SS-Offizier, der mit seinem Vater zusammenarbeitet, nachts in Ausgehuniform Hand in Hand mit einem hübschen jungen Mädchen. Ebenso eigenartig ist, dass der Hund des Gärtners schließlich Helenes Haarschleife in der kürzlich umgegrabenen Erde entdeckt.

Doch der Grund, weswegen sich Fritz schließlich in Gefahr begibt, ist die ebenfalls 14-jährige Schwester der hochschwangeren Aniela. In Maria, die eigentlich Marie heißt, hat sich Fritz geradezu unsterblich verliebt. Schließlich entbindet Aniela, aber das Erscheinungsbild des Kindes empfindet Fritz als seltsam. Dazu bricht im Lebensborn ein Aufruhr aus, den Fritz nicht recht nachvollziehen kann. Schließlich beobachtet Fritz Maria, Aniela und den Gärtner nachts dabei, wie sie sich anschicken, die Mauer des Lebensborns zu erklimmen ...

Bücher, die junge Leser an die Greueltaten des NS-Regimes heranführen sollen, gibt es in der Tat nicht wenige. Zyniker werden daher anmerken, dass es hier wohl kaum möglich ist, noch Überraschungen zu erleben. Dass dem neusten Jugendroman des deutschen Autors Manfred Theisen eine Ausnahmesposition zukommt, wird jedoch schnell deutlich, denn hier wird Wissen vermittelt, das garantiert nicht zum Lehrplan jedes Geschichtslehrers gehört. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Fritz´ Erlebnisse zu einer bloßen Geschichtsstunde verarbeitet werden. Knisternde Spannung ist Theisen sichtlich genauso wichtig wie der geschichtliche Hintergrund, was "Ohne Fehl und Makel" mehr Unterhaltungswert verleiht, als so mancher Skeptiker für möglich halten wird.

Auch die Charakterentwicklung, die Fritz durchmacht, so dass er schließlich an der NS-Doktrin zu zweifeln beginnt, ist geschickt ausgearbeitet und wird absolut überzeugend dargestellt. Abgerundet wird all dies durch Theisens charaktervollen Stil, der trotz seiner Beschränkung auf knappe, klare Sätze vor Emotionen und Atmosphäre nur so strotzt. Auch der Spannungsbogen des Romans ist perfekt ausgearbeitet und spart nicht mit unerwarteten Überraschungen und Enthüllungen. Mit Fritz mitzufühlen und mitzufiebern ist so ein Leichtes und der Leser möchte den Roman nicht aus der Hand legen, bevor sich ihm nicht das letzte Geheimnis des Lebensborn-Heims erschlossen hat. Ein absolut lesenswertes Buch gegen das Vergessen, das viele spannende Lesestunden garantiert - auch für junge Bücherfreunde, die mit dem Thema Nationalsozialismus eigentlich auf Kriegsfuß stehen.

Johannes Schaack
06.12.2010

 
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Das Buch:

Manfred Theisen: Ohne Fehl und Makel. Ein Junge im Lebensborn-Heim

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München: cbj Verlag 2010
286 S., € 7,99
ab 13 Jahren
ISBN: 978-3-570-40029-6

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